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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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war, hatte er, um sich im Hause Thuillier einzuführen und festzusetzen und um die Tochter eines Klarinettenbläsers und einer Kokette zu heiraten, mehr Geist, mehr Geschick, und, wie man wohl sagen darf, da in einer verdorbenen Gesellschaft ein solcher Grundsatz sehr in Rechnung gestellt werden muß, mehr Unredlichkeit entwickelt, als er nötig gehabt hätte, um in einer normalen Laufbahn in die Höhe zu kommen.
    »Genug«, sagte er sich, »von solchen Bekanntschaften wie Dutocq und Cérizet; genug von dieser verpesteten Luft, die man in der Welt dieser Minards, Phellions, Collevilles, Barniols und Laudigeois' atmen muß! Begeben wir uns in das wirkliche Paris und schütteln wir diese Provinz ›intra muros‹ ab, die tausendmal lächerlicher und erbärmlicher ist als die Provinz der Departements; diese hat neben ihren Kleinlichkeiten doch wenigstens ihre eigenen Sitten, eine Würde ›sui generis‹; sie will nichts anderes sein, als was sie ist, der Gegensatz des Pariser Lebens; die andere ist nur dessen Parodie.«
    Infolgedessen suchte la Peyrade mehrere Anwälte auf, die ihm angeboten hatten, ihm einige Sachen zweiten Ranges vor Gericht zu übertragen; er nahm an, was sich gerade bot, und drei Wochen nach dem Bruch mit den Thuilliers war er nicht mehr der Armenadvokat, sondern ein plädierender Advokat.
    La Peyrade war schon in mehreren Prozessen erfolgreich aufgetreten, als er eines Morgens einen Brief erhielt, der ihn sehr beunruhigte. Der Vorsitzende der Advokatenkammer forderte ihn auf, im Verlauf des Tages in seinem Arbeitszimmer im Justizpalast zu erscheinen; man habe ihm »etwas Wichtiges« mitzuteilen.

Sofort mußte der Provenzale an das Haus an der Madeleine denken; wenn die Sache der Disziplinarkammer zu Ohren kam, würde er sich vor diesem Gerichtshof, dessen strenge Ansichten ihm bekannt waren, direkt zu verantworten haben. Du Portail, bei dem er sich, trotz des Cérizet bedingt gegebenen Versprechens, noch nicht hatte blicken lassen, hatte die Geschichte mit dem Bietungstermin wahrscheinlich von Cérizet selbst erfahren. Diesem Manne war, nach der Inszenesetzung der Ungarin zu urteilen, offenbar jedes Mittel recht. Sollte dieser verrückte Mensch in seinem hartnäckigen Eifer, die Verheiratung seiner Irrsinnigen durchzusetzen, nicht den Entschluß gefaßt haben, ihn zu denunzieren? Sollte sein Verfolger, wenn er sah, wie er tapfer und mit einigem Anschein von Erfolg sich einer Laufbahn widmete, die ihm Unabhängigkeit und Reichtum verhieß, sich nicht veranlaßt gefühlt haben, ihm diese Karriere unmöglich zu machen? Diese Erwägung hatte offenbar so viel wahrscheinliches, daß der Advokat voll Angst die Stunde erwartete, wo es ihm möglich war, sich von dem wahren Grunde der bedrohlichen Vorladung zu überzeugen. Während der Provenzale bei seinem ziemlich bescheidenen Frühstück diese Vermutungen anstellte, erschien Frau Coffinet, die den Vorzug hatte, ihm die Wirtschaft zu besorgen, und fragte ihn, ob er einen Herrn Etienne Lousteau empfangen wolle.
    Etienne Lousteau! La Peyrade meinte, diesen Namen schon irgendwo gesehen zu haben.
    »Führen Sie ihn in mein Arbeitszimmer«, sagte er zu der Portiersfrau.
    Einen Augenblick später empfing er den Besucher, dessen Gesicht ihm nicht ganz unbekannt war.
    »Mein Herr,« sagte der Gast la Peyrades, »ich hatte die Ehre, vor einiger Zeit mit Ihnen bei Véfour zu frühstücken; ich war zu der Gesellschaft eingeladen, die von Ihrem Freunde Thuillier damals ein wenig gestört wurde.«
    »Ah, richtig!« sagte der Advokat und bot ihm einen Stuhl an, »Sie gehören zu der Redaktion einer Zeitung?«
    »Ich bin Chefredakteur des ›Echo de la Bièvre‹, und gerade mit bezug auf dieses Blatt wünschte ich mit Ihnen zu reden. Sie wissen doch, was vorgeht?«
    »Nein«, sagte la Peyrade.
    »Wie? Sie wissen nicht, daß das Ministerium gestern eine furchtbare Schlappe erlitten hat und daß es, statt zu demissionieren, die Kammer auflöst und an das Land appelliert?«
    »Ich wußte von alledem nichts,« sagte la Peyrade, »ich habe die Morgenzeitungen nicht gelesen.«
    »Also«, fuhr Lousteau fort, »alle Leute mit parlamentarischem Ehrgeiz rüsten sich, und wenn ich richtig berichtet bin, hat Herr Thuillier, der ja schon Mitglied des Generalrats ist, die Absicht, sich als Kandidat im zwölften Bezirk aufstellen zu lassen.«
    »In der Tat,« sagte la Peyrade, »das ist wohl seine Absicht.«
    »Nun, mein Herr, ich wollte ihm ein Hilfsmittel zur Verfügung stellen,

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