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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gehabt und etliche Vermögen erschüttert; aber ich dachte, sie wäre fortgereist. Zwei Monate lang war sie ganz verschwunden, bis sie neulich, strahlender als je, wieder auftauchte. Ich möchte dem Herrn nicht raten, sich mit ihr einzulassen; aber der Herr ist Südländer und sicher sehr leidenschaftlich, und vielleicht hat alles, was ich gesagt habe, nur dazu gedient, ihn noch begehrlicher zu machen; da Sie gewarnt sind, ist ja auch keine so große Gefahr dabei; wenn man seinen Heiligen kennt, weiß man, wie man mit ihm umgehen muß; übrigens kann man nicht leugnen, daß es eine verführerische Frau ist, oh! sehr verführerisch ... Mich hat sie sehr gern, obwohl wir uns in Feindschaft getrennt haben, und eben noch hat sie mich um meine Adresse gebeten und mir gesagt, daß sie mich besuchen würde.«
    »Ich werde mir die Sache überlegen«, sagte la Peyrade, erhob sich und verabschiedete sich.
    Sein Gruß wurde sehr kühl erwidert; sein plötzlicher Aufbruch ließ nicht auf einen Mann mit »ernsten Absichten« schließen.
    Wenn man sah, wie heiter der Advocat seine Nachforschungen betrieb, hätte man annehmen müssen, daß er plötzlich geheilt worden sei; aber diese scheinbare Gleichgültigkeit und Kaltblütigkeit war nur die unheimliche Windstille, die einem Gewitter vorangeht.
    Als er Frau Louchard verlassen hatte, warf sich la Peyrade in einen Mietwagen, und hier war ein Weinkrampf, ähnlich dem, dessen Zeugin Frau Colleville am Tage des Bietungstermines, wo er sich von Cérizet betrogen glaubte, gewesen war, der erste Ausbruch, in dem sein Schmerz sich entlud. Die Belagerung der Thuilliers, die er mit solcher Geduld vorbereitet hatte, war trotz der schwersten Opfer vergeblich gewesen; Flavia war für die unwürdige Komödie, die er mit ihr gespielt hatte, gerächt; seine Angelegenheiten befanden sich in schlimmerem Zustande, als damals, wo ihn Cérizet und Dutocq als Wolf in den Schafstall eingeschlossen hatten, aus dem er sich wie ein stumpfsinniger Hammel hatte verjagen lassen; dazu kamen seine haßerfüllten Absichten gegen die Frau, die so leicht über all seine Gewandtheit triumphiert hatte, und die noch so lebendige Erinnerung an ihr verführerisches Wesen, dem er unterlegen war: solcher Art waren die Gedanken und die seelischen Erregungen seiner schlaflosen oder von bösen Träumen verstörten Nacht.
     
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    Am nächsten Tage verwirrten sich la Peyrades Gedanken; er hatte hohes Fieber, und die Erscheinungen wurden so bedrohlich, daß der Arzt, dessen Hinzuziehen notwendig geworden war, gegen die Symptome einer drohenden Gehirnentzündung Vorkehrungsmaßregeln treffen mußte: Aderlaß, Blutegel, Eisumschläge auf dem Kopf – das war für la Peyrade das liebliche Ergebnis seines Liebestraums; aber es muß hierzu gleich bemerkt werden, daß diese körperliche Krisis auch eine gründliche moralische Besserung herbeiführte: der Advokat hatte für die ungarische Verräterin nur noch ein Gefühl kühler Verachtung, er verstieg sich nicht einmal mehr zu dem Wunsch, sich zu rächen. Als er wieder auf den Beinen war und an seine Zukunft dachte, für die seine Aussichten soviel schlechter geworden waren, fragte sich la Peyrade, ob er mit den Thuilliers wieder anknüpfen oder sich auf die Sache mit dem reichen verrückten Mädchen einlassen sollte, die einen Goldklumpen an der Stelle hatte, wo bei andern das Gehirn sitzt; aber alles, was ihn an seinen unseligen Feldzug erinnerte, erfüllte ihn mit unbesiegbarem Widerwillen, und was bot sich ihm für eine Sicherheit, wenn er mit diesem du Portail verhandeln sollte, der für seine Zwecke derartige Instrumente zu verwenden verstand?
    Große Erschütterungen der Seele sind wie Unwetter, die die Atmosphäre reinigen: sie stärken die Moral und veranlassen zu kräftigen, edelmütigen Entschlüssen. Nach der grausamen Täuschung, deren Opfer er geworden war, nahm la Peyrade jetzt eine Selbstprüfung vor. Er fragte sich, wozu er dieses Leben voll niedriger elender Intrigen seit mehr als einem Jahre geführt habe. Konnte er von seinen hervorragenden Fähigkeiten, die er in sich fühlte, nicht einen besseren und edleren Gebrauch machen? Die Advokatenlaufbahn stand ihm wie jedem andern offen. Das war ein gerader breiter Weg, auf dem er seinen berechtigten Ehrgeiz in jeder Beziehung befriedigen konnte. Wie Figaro, der, um sein Leben zu fristen, mehr Klugheit und Berechnung entwickelt, als für die Herrschaft über alle Reiche Spaniens seit hundert Jahren erforderlich

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