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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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übermüdet,« sagte Cérizet; »in der Wiege wird ihm schon wohler werden.«
    »Ich werde ihm die Sonate von Beethoven vorspielen, die mein Väterchen so sehr liebte; es ist wunderbar, wie das beruhigt. Adieu, Doktor,« sagte sie nochmals, auf der Schwelle stehen bleibend, »adieu, mein guter Doktor!«
    Und sie warf ihm eine Kußhand zu.
    Cérizet war ganz erschüttert.
    »Sie sehen,« sagte du Portail, »was das für ein Engel ist; niemals eine häßliche Bemerkung, niemals ein böses Wort. Manchmal ist sie traurig, aber immer nur infolge mütterlicher Sorgen; das hat den Ärzten die Überzeugung beigebracht, daß, wenn die Wirklichkeit an Stelle ihrer dauernden Halluzination tritt, sie wieder zu Verstand kommen würde. Nun wissen Sie jedenfalls, was dieser törichte la Peyrade zurückweist, noch dazu mit einer großartigen Mitgift! Aber er muß dazu gebracht werden, oder ich will nicht mehr du Portail heißen. Hören Sie,« fuhr er fort, als jetzt Klavierakkorde erklangen, »was sie für ein Talent besitzt! Es gibt hunderttausend Frauen mit gesunden Sinnen, die an diese Irre nicht heranreichen und die auch nur scheinbar vernünftiger sind.«
    Als die Beethovensche Sonate beendet war, die mit so seelenvoller Meisterschaft gespielt wurde, daß sie den Gerichtssekretär mit Bewunderung erfüllte, sagte er:
    »Ich bin ganz Ihrer Meinung, mein Herr, la Peyrade verschmäht einen Engel, einen Schatz, eine Perle, und wenn ich an seiner Stelle wäre ... Aber wir werden ihn schon gefügig machen. Von jetzt ab will ich Ihnen nicht nur mit Eifer, sondern mit Leidenschaft, mit Fanatismus dienen.«
    Als Cérizet diesen Treuschwur geleistet hatte, vernahm er außerhalb des Zimmers, in dem ihn du Portail empfangen hatte, eine weibliche Stimme, die nicht die Lydias war.
    »Ist der verehrte Herr Kommandeur in seinem Arbeitszimmer?« fragte diese Stimme mit leichtem fremdländischem Akzent.
    »Ja, gnädige Frau; aber nehmen Sie gefälligst im Salon Platz, der Herr ist nicht allein, ich werde ihn benachrichtigen.«
    Das war die Stimme Kates, der alten holländischen Gouvernante.
    »Bitte, gehen Sie hier durch,« sagte du Portail schnell.
    Und er öffnete ihm eine Nebentür, die durch einen dunklen Korridor direkt zur Treppe führte.
    Der Artikel, mit dem eine neue Zeitungsredaktion zum erstenmal zu dem Publikum in Beziehungen tritt, »ihr Glaubensbekenntnis«, wie man sich fachmännisch ausdrückt, ist immer eine mühselige, schwere Entbindung. In diesem besondern Falle war es gleichzeitig erforderlich, die Kandidatur Thuillier, wenn auch noch nicht aufzustellen, so doch wenigstens vorzubereiten. Über den Text dieses Manifestes, nachdem es la Peyrade redigiert hatte, wurde daher sehr lange diskutiert. Die Debatte fand in Cérizets Gegenwart statt, der auf du Portails Rat die Redakteurstelle angenommen hatte; die Kaution hatte er aber jedenfalls noch nicht gestellt, indem er sich den Aufschub zunutze machte, den die Behörde bei einem Besitzwechsel üblicherweise für die Erfüllung dieser Vorschrift gewährt.
    In geschickter Weise von dem Oberschurken geschürt, der von Anfang an Thuillier zu schmeicheln verstand, wurde diese Diskussion mehrmals stürmisch und scharf; aber da nach dem Gesellschaftsvertrage la Peyrade in allen Redaktionsangelegenheiten das letzte Wort gelassen war, so ordnete er schließlich an, daß der Artikel, so wie er ihn geschrieben hatte, in die Druckerei ging.
    Thuillier war genötigt, sich dem, was er einen Mißbrauch der Macht nannte, zu fügen, und als er sich am nächsten Tage mit Cérizet allein sah und sich beeilte, in den Busen des getreuen Redakteurs seinen bitteren Schmerz auszuschütten, bot sich diesem eine günstige, von selbst gegebene Gelegenheit dar, ihm die verleumderischen Eröffnungen, die er mit dem Manne aus der Rue Honoré-Chevalier ausgeheckt hatte, zu machen.
    Die Einflüsterung wurde mit einer Kunst und in einer Form vollzogen, daß auch ein viel gescheuterer Mensch als Thuillier getäuscht worden wäre. Cérizet tat sehr besorgt um die Geheimhaltung dessen, was ihm nur sein hingebender Eifer und eine gewisse Sympathie für den »hervorragenden Geist und Charakter« der ihm »von Anfang anbei Thuillier imponiert hätte,« entlockt habe. Dieser beruhigte den Verräter und versprach ihm, daß er in keiner Weise in die Auseinandersetzung, die sein Geständnis herbeiführen könnte, hineingezogen werden würde. Es würde so aussehen, als ob Thuillier von anderer Seite informiert worden

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