Die Kleinbürger (German Edition)
der Auswahl der Artikel und der Redakteure vorbehalten hatte, Gebrauch machen solle. Stets von seiner Familie gedrängt, und als Mitglied des Lesekomitees beim Odeon, war Phellion erschienen, um sich als »Theaterkritiker« anzubieten.
»Mein werter Herr,« sagte er, sich an la Peyrade wendend, nachdem er sich nach Thuilliers Befinden erkundigt hatte, »ich habe in meiner Jugend viele Theaterstücke gesehen; die Bühnendarstellungen haben während meiner ziemlich langen Laufbahn stets eine besondere Anziehungskraft auf mich ausgeübt, und die weißen Haare, die heute meine Stirn krönen, scheinen mir kein Hindernis zu sein, daß ich Ihr interessantes neues Organ nicht an den Früchten meiner Studien und meiner Erfahrung sollte teilnehmen lassen. Als Mitglied des Lesekomitees beim Odeontheater habe ich außerdem aus frischen Quellen geschöpft, und wenn ich auf Ihre Diskretion rechnen darf, will ich sogar so weit gehen, Ihnen zu gestehen, daß sich unter meinen Papieren noch eine Tragödie ›Sapor‹ finden dürfte, die mir in meinen jungen Jahren beim Vorlesen in den Salons einigen Beifall eingetragen hat.«
»Ja, aber,« antwortete la Peyrade, der ihm die Ablehnung, die er ihm zuteil werden lassen mußte, etwas versüßen wollte, »warum sollte man jetzt nicht versuchen, sie aufzuführen? Wir könnten Ihnen bei einem solchen Versuch behilflich sein.«
»Gewiß,« sagte Thuillier, »wenn wir das Werk einem Theaterdirektor empfehlen ...«
»Nein,« entgegnete Phellion. »Zunächst würde es mir, als Mitglied des Lesekomitees beim Odeon, der ich andere zu beurteilen habe, nicht ziemen, selbst wieder in die Arena hinabzusteigen. Ich bin jetzt ein alter Athlet, dessen Rolle darin besteht, die Faustschläge, die er selbst nicht mehr auszuteilen vermag, bei andern zu beurteilen. In diesem Sinne gehört die Kritik völlig zu meiner Kompetenz, und das um so mehr, als ich über die Art, wie ein Theaterfeuilleton zu gestalten ist, Gedanken habe, die ich für neu halte. Das ›Castigat ridendo mores‹ muß, nach meiner schwachen Einsicht, das Grundgesetz, oder sagen wir besser das einzige Gesetz für das Theater sein. Ich würde mich also unerbittlich gegen die Werke zeigen, die reine Kinder der Einbildungskraft sind, an denen die Moral keinen Anteil hat, und die die Vorsicht einer Familienmutter ...«
»Verzeihung,« sagte la Peyrade, »wenn ich Sie unterbreche; aber bevor Sie sich die Mühe machen, uns Ihre Poetik zu entwickeln, muß ich Ihnen gestehen, daß wir für das Theaterfeuilleton schon Verträge abgeschlossen haben.«
»Ach, das ist etwas Anderes«, erwiderte Phellion; »ein Ehrenmann ist an sein Wort gebunden.«
»Ja,« sagte Thuillier, »wir haben schon jemanden; wir waren weit entfernt davon, zu hoffen, daß Sie uns Ihre ehrenvolle Mitarbeiterschaft anbieten würden.«
»Nun,« erklärte Phellion, wie ein Intrigant – denn in der Atmosphäre einer Zeitung ist ein gewisses Etwas enthalten, was zu Kopfe steigt, besonders den Bourgeois – »da Sie so gütig sind, zu glauben, daß Ihnen meine Feder Dienste leisten könne, so dürften vielleicht unter ›Vermischtem‹ einige Aphorismen über verschiedene Gegenstände, die ich deshalb nicht gezögert habe, als ›Verschiedenerlei‹ zu bezeichnen, geeignet sein, Ihnen etwas Interesse einzuflößen.«
»Jawohl,« sagte la Peyrade maliziös, ohne daß Phellion es merkte, ›Aphorismen‹, besonders solche in der Art la Rochefoucaulds und la Bruyères. – Wie denkst du darüber, Thuillier?«
Er hatte sich vorbehalten, so oft es angängig war, dem Herrn Zeitungsbesitzer die Verantwortung für eine Ablehnung zu überlassen.
»Ich meine,« sagte Thuillier, »solche unzusammenhängende Aphorismen dürften nicht so häufig gebracht werden.«
»Sicherlich,« antwortete Phellion, »wer von Aphorismen spricht, versteht darunter Gedanken über eine große Menge von Gegenständen, über die der Autor nur hinstreift, ohne die Absicht zu haben, ein Ganzes daraus zu gestalten.«
»Und Sie würden,« fragte la Peyrade, »mit Ihrem Namen zeichnen?«
»Ach nein,« entgegnete Phellion erschreckt; »ich habe keine Lust, mich so zur Schau zu stellen.«
»Diese Zurückhaltung, die ich übrigens begreife und billige,« erwiderte la Peyrade, »entscheidet die Frage vollkommen; Aphorismen sind ein rein individuelles Genre, das gebieterisch verlangt, durch ein Individuum personifiziert zu werden. Sie werden selbst empfinden: Aphorismen mit drei Sternen unterzeichnet, das sagt
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