Die Kleinbürger (German Edition)
verfolgt habe, hat mich damit lächerlich gemacht; er verbirgt sich, der Feigling, und wagt nicht, einen Ton von sich zu geben.«
»Aber wer ist denn der Mensch, über den Sie so böse sind?« fragten mehrere zugleich den grimmigen Alten.
»Ein entarteter Schüler von mir,« antwortete der alte Mathematiker, »ein schlechtes Subjekt, wenn auch sehr begabt, er nennt sich Felix Phellion.«
Dieser Name erregte, wie man sich denken kann, das höchste Erstaunen. Colleville und la Peyrade fanden die Situation so komisch, daß sie in lautes Lachen ausbrachen.
»Du lachst noch, Elender?« schrie der jähzornige Greis und erhob sich; »komm mir doch nahe und wage es, zu lachen.«
Er schwenkte einen riesigen Stock mit einer Porzellankrücke, der ihm als Stütze diente, so daß er beinahe einen Kandelaber vom Tische Frau Minard an den Kopf geschleudert hätte.
»Sie irren sich, mein Herr,« sagte Brigitte und fiel ihm in den Arm, »Herr Felix Phellion ist nicht hier. Er wird wahrscheinlich gleich zu unserer Soiree erscheinen, aber zurzeit ist er noch nicht eingetroffen.«
»Eure Soireen beginnen ziemlich spät!« sagte der Greis; »es ist acht Uhr vorüber. Aber da der Herr Felix kommen soll, so erlauben Sie mir, auf ihn zu warten; ich glaube, Sie waren noch beim Essen; lassen Sie sich nicht stören.«
Und er setzte sich, ruhiger geworden, wieder nieder.
»Da Sie es uns gestatten wollen,« sagte Brigitte, »werden wir unser Essen fortsetzen, oder vielmehr beenden, denn wir waren schon beim Dessert. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Ein Glas Champagner und ein Biskuit?«
»Gern, gnädige Frau«, erwiderte der Alte. »Ein Glas Champagner lehnt man niemals ab, und ich genieße gern etwas zwischen meinen Mahlzeiten; aber Sie dinieren sehr spät.«
Man machte ihm zwischen Colleville und Fräulein Minard Platz, und der Musiker war darauf bedacht, das Glas seines neuen Nachbars gefüllt zu halten, vor den man einen Teller mit kleinen Kuchen gestellt hatte.
»Mein Herr,« sagte la Peyrade jetzt mit falscher Freundlichkeit, »Sie sehen uns alle erstaunt darüber, daß Sie sich über Herrn Felix Phellion zu beklagen haben, einen so sanften, so friedlichen jungen Menschen! Was hat er Ihnen denn nun wirklich getan, daß Sie ihm so böse sind?«
Den Mund voll Kuchen, den er in solchen Massen verschlang, daß Brigitte unruhig wurde, machte der Professor ein Zeichen, daß er gleich antworten würde, und nachdem er sich in den Gläsern geirrt, und den Inhalt von Collevilles Glas ausgetrunken hatte, erwiderte er:
»Was mir dieser unverschämte Kerl getan hat? Er hat mir Streiche gespielt – denn dieser hier ist nicht der erste, den ich ihm vorzuwerfen habe –, für die er gehenkt zu werden verdiente. Er weiß recht gut, daß ich die Sterne nicht ausstehen kann, ich bin mit ihnen so bestraft worden, daß ich wirklich nicht den geringsten Wert auf sie lege. Als ich im Jahre 1807 Mitglied des Schifffahrtsamtes war, nahm ich an der nach Spanien entsandten Expedition teil, unter der Leitung meines Freundes und Kollegen Jean-Baptiste Biot, um den Erdmeridian von Barcelona bis zu den Balearen zu messen. Ich war gerade dabei, einen Stern zu beobachten, vielleicht gerade den, den mein Schüler, dieser Lump, eben zufällig entdeckt hat, als plötzlich der Krieg zwischen Frankreich und Spanien ausbrach; die Bauern, die mich auf dem Galazzoberge mit dem Fernrohr hingepflanzt sahen, glaubten, daß ich dem Feinde Signale gäbe. Ein wütender Haufen zerbrach meine Instrumente und wollte auch mich schon zusammenhauen; ich war fu ..., ich war verloren, wenn mich nicht ein Schiffskapitän zum Gefangenen gemacht und auf die Festung Belver gebracht hätte, wo ich drei Jahre in der härtesten Gefangenschaft zubringen mußte. Sie werden begreifen, daß ich seitdem das Himmelssystem nicht gerade mit freundlichen Augen ansehe; trotzdem war ich es, der unbewußt zuerst den berühmten Kometen von 1811 beobachtete; ich hätte aber nichts darüber laut werden lassen, wenn nicht Herr Flauguergues so indiskret gewesen wäre, es zu verkünden. Wie alle meine Schüler kennt auch Phellion meinen ausgesprochenen Widerwillen gegen die Sterne, und er wußte recht gut, daß er mir einen üblen Streich spielte, wenn er mir einen davon anhängte. Die Deputation, die zu mir gekommen ist, um mir ihre albernen Glückwünsche auszusprechen, kann froh sein, daß sie mich nicht angetroffen hat. denn die Herren Akademiker, alle wie sie da sind von der Akademie, hätten eine
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