Die Kleinbürger (German Edition)
sehr üble Viertelstunde verbracht.«
Die ganze Gesellschaft fand diese merkwürdige fixe Idee des alten Mathematikers sehr komisch. Nur la Peyrade, der anfing zu begreifen, welche Rolle Felix hierbei gespielt hatte, bedauerte, daß er diese Auseinandersetzung herbeigeführt hatte.
»Trotzdem, Herr Picot, will mir scheinen,« sagte Minard, »daß, wenn Felix Phellion nur die Schuld trifft, daß er seine Entdeckung Ihnen zugeschoben hat, in dem Erfolg seines üblen Vorgehens doch eine gewisse Entschädigung für Sie enthalten ist: Das Kreuz der Ehrenlegion, eine Pension und der Ruhm, der sich an Ihren Namen knüpft.«
»Das Kreuz und die Pension nehme ich an«, sagte der Alte und leerte sein Glas, das er dann zum großen Schrecken Brigittes so kräftig auf den Tisch stellte, als ob er den Fuß abbrechen wollte. »Das war mir die Regierung seit zwanzig Jahren schuldig, nicht für die Entdeckung von Sternen – diesen Artikel habe ich immer verachtet –, sondern für meine berühmte Abhandlung über ›Differentiallogarithmen‹, die Kepler Monologarithmen nennen zu sollen glaubte, und die die Tafeln Nepers fortsetzen; für mein ›Euklidisches Problem‹, dessen Lösung ich als erster gefunden habe; vor allem aber für meine Theorie des perpetuum mobile, vier Quartbände mit Tafeln, Paris 1825. Sie sehen also, mein Herr, mir Ruhm verleihen wollen, das heißt, Wasser ins Meer tragen. Um mir einen Platz in den Annalen der Wissenschaft zu sichern, dazu brauche ich Herrn Phellion so wenig, daß ich ihn seit langer Zeit mit Schimpf und Schande weggejagt habe.«
»Sollte das der erste Stern sein,« fragte Colleville lustig, »bei dem er gewagt hat, Ihnen einen Schabernack zu spielen?«
»Er hat etwas viel Schlimmeres getan!« rief der Alte aus; »er hat meinen Ruf vernichtet und meinen Ruhm befleckt. Meine Theorie des perpetuum mobile, deren Druck mich Unsummen gekostet hat, während sie von der königlichen Druckerei hätte hergestellt werden müssen, sollte mir ein Vermögen bringen und mich unsterblich machen. Nun, alles das hat dieser elende Felix verhindert. Von Zeit zu Zeit hat mir dieser junge Sykophant, indem er tat, als ob er das vom Verleger wüßte, berichtet: ›Ihr Buch geht sehr gut, Papa Picot, hier sind fünfhundert Franken‹, oder ›hier sind fünfzig Taler‹, manchmal sogar ›tausend Franken, die ich Ihnen vom Verleger übergeben soll‹. Das ging so Jahre hindurch, und der Verleger, der so gemein war, das Komplott mitzumachen, sagte, wenn ich zu ihm kam: ›Ja gewiß, der Absatz ist nicht schlecht, er »fluscht«, die erste Auflage wird bald verkauft sein.‹ Ahnungslos habe, ich das Geld eingesteckt und mir gesagt: ›Mein Buch wird gewürdigt, die Idee setzt sich langsam durch, und ich kann erwarten, daß eines Tages ein reicher Kapitalist mir vorschlagen wird, meine Theorie praktisch zu verwerten ...«
»Wie man Flüssigkeiten vertilgt?« fragte Colleville, der unablässig damit beschäftigt war, das Glas des verdrehten Alten zu füllen.
»Nein, mein Herr, das perpetuum mobile, vier Quartbände mit Tafeln, Paris 1825. Aber nein, die Zeit verstrich, ohne daß sich jemand zeigte; und da ich annahm, daß mein Verleger nicht die wünschenswerte Tatkraft hierbei entwickelte, so wollte ich die zweite Auflage einem andern Verleger übertragen. Und hierbei, mein Herr, kam das ganze Komplott ans Licht, so daß ich diese Schlange hinauswerfen mußte. Im Verlaufe von sechs Jahren sind im ganzen neun Exemplare verkauft worden; in falsche Sicherheit gewiegt, habe ich selbst nichts für die Verbreitung meines Buches getan, von dem ich annahm, daß es sich von selbst durchsetze, und so bin ich als das Opfer neidischer schwarzer Bosheit in unwürdiger Weise um den Ertrag meiner Arbeiten betrogen worden.«
»Sollte man darin,« sagte Minard, der damit die Meinung aller Anwesenden zum Ausdruck brachte, »nicht vielmehr ein eben so geschicktes wie zartfühlendes Vorgehen sehen können?«
»Mir ein Almosen zu schenken, nicht wahr?« unterbrach ihn der Alte mit so schallender Stimme, daß Fräulein Minard von ihrem Stuhl in die Höhe fuhr; »mich zu demütigen, mich zu entehren, mich, seinen alten Lehrer? Habe ich seine Wohltaten nötig? Hat Nepomuk Picot, dem seine Frau eine Mitgift von hunderttausend Franken zugebracht hat, schon irgend jemanden angebettelt? Aber heutzutage hat man vor nichts mehr Respekt; einen guten alten Kerl, wie man uns nennt, überlistet man, damit man nachher dem Publikum sagen kann:
Weitere Kostenlose Bücher