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Die Kleinbürger (German Edition)

Die Kleinbürger (German Edition)

Titel: Die Kleinbürger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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hatte ihn erschreckt, und niemals hatte er es laut werden lassen, denn Flavia-Minard-Colleville ergab: »Die alte C***, ein beschimpfter Name, stiehlt.«
    Mehrmals bereits hatte Theodosius dem jovialen Sekretär der Stadtverwaltung sich nähern wollen, war aber immer einer kühlen, bei einem so entgegenkommenden Manne wenig natürlicher Abweisung begegnet. In dem Augenblick, wo die Bouillottepartie beendet war, zog Colleville Thuillier in eine Fensternische und sagte zu ihm:
    »Du läßt diesen Advokaten hier bei dir zu festen Fuß fassen, er hat heute abend das große Wort geführt.«
    »Ich danke dir, lieber Freund, ein Mann, der gewarnt ist, ist so klug wie zweie«, antwortete Thuillier, während er sich heimlich über Colleville lustig machte.
    Theodosius, der in diesem Augenblick gerade mit Frau Colleville plauderte, hatte seinen Blick auf die beiden Freunde gerichtet, und mit dem Ahnungsvermögen, das die Frauen zu gebrauchen verstehen, wenn sie wissen wollen, ob und in welcher Weise von ihnen die Rede ist, merkte er, daß Colleville ihm bei dem schwachen unbedeutenden Thuillier zu schaden versuchte.
    »Gnädige Frau,« sagte er leise zu der fromm gewordenen Dame, »glauben Sie mir, wenn hier jemand imstande ist, Sie richtig zu würdigen, so bin ich es. Wenn man Sie ansieht, so möchte man sagen: eine Perle, die in den Schmutz gefallen ist; Sie sind noch nicht zweiundvierzig Jahr alt, denn eine Frau ist so alt, wie sie aussieht, und viele Frauen von dreißig Jahren, die nicht an Sie heranreichen, würden glücklich sein, wenn sie eine solche Figur hätten und ein so entzückendes Gesicht, das von der Liebe erzählt, die niemals die Sehnsucht Ihres Herzens zu befriedigen vermocht hat. Sie haben sich Gott zugewendet, ich weiß es, und ich empfinde zu viel Mitgefühl, als daß ich etwas anderes für Sie zu sein begehrte als Ihr Freund; aber Sie haben das nur getan, weil Sie niemals einen Ihrer Würdigen gefunden haben. Gewiß, geliebt sind Sie worden, aber Sie haben nie empfunden, daß man Sie anbetete, ich habe das geahnt ... Und Ihr Mann hier hat niemals verstanden, Ihnen eine Ihres Wertes würdige Stellung zu verschaffen; er haßt mich, als ob er fürchtete, daß ich Sie liebe, und will mich daran hindern, Ihnen zu sagen, daß ich eine Möglichkeit gefunden zu haben glaube, Sie in eine Sphäre zu bringen, die Ihrer Bestimmung entspricht ...
    Nein, gnädige Frau«, sagte er laut und erhob sich, »nicht der Abbé Gondrin wird dieses Jahr in der Fastenzeit in unsrer bescheidenen Kirche Saint-Jaques du Haut-Pas predigen, sondern Herr d'Estival, ein Landsmann von mir, der sich dem Predigerberuf aus Mitgefühl für die Armen geweiht hat, und Sie werden da einen der weihevollsten Redner, die ich kenne, zu hören bekommen, einen Priester, der zwar kein sehr angenehmes Äußere hat, aber was für eine Seele! ...«
    »Mein Wunsch wird also erfüllt werden,« sagte die arme Frau Thuillier; »ich habe die berühmten Prediger nie verstehen können!«
    Ein Lächeln erschien auf Fräulein Thuilliers Lippen und auf denen mehrerer anderen.
    »Sie befassen sich zu sehr mit theologischen Erklärungen, das ist schon lange meine Ansicht«, sagte Theodosius; »aber ich spreche niemals über Religion, und ohne Frau Colleville ...«
    »Gibt es denn in der Theologie Erklärungen?« fragte der Mathematikprofessor naiv und geradezu.
    »Ich will nicht annehmen,« erwiderte Theodosius und sah Felix Phellion an, »daß Sie diese Frage im Ernst gestellt haben.«
    »Felix,« sagte der alte Phellion und kam schwerfällig seinem Sohn zu Hilfe, als er auf Frau Thuilliers blassem Gesicht einen schmerzlichen Ausdruck wahrnahm, »Felix unterscheidet bei der Religion zwei Kategorien: er betrachtet sie einmal vom menschlichen und einmal vom göttlichen Standpunkt, von dem der Tradition und dem der Begründung aus.«
    »Was für eine ketzerische Ansicht, Herr Phellion!« entgegnete Theodosius; »die Religion ist eine Einheit; sie verlangt vor allem den Glauben.«
    Durch diese Phrase festgenagelt, sah der alte Phellion seine Frau an:
    »Es ist Zeit, meine Liebe ...«
    Und er zeigte auf die Uhr.
    »Oh, Herr Felix,« sagte Celeste leise zu dem offenherzigen Mathematiker, »können Sie nicht, wie Pascal und Bossuet, gleichzeitig ein Gelehrter und fromm sein? ...«
    Mit den Phellions brachen auch Collevilles auf, und es blieben bald nur noch Dutocq, Theodosius und die Thuilliers zurück.
    Die Schmeicheleien, die Theodosius Flavia zugeflüstert hatte, waren

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