Die Kleinbürger (German Edition)
aber nicht das unserer Kinder. Möchtest du, daß deine Tochter ein Geschöpf ohne Religion sei? ... Wir sind jetzt von allen Leuten abhängig, mein Engel, wir haben vier Kinder zu versorgen; willst du behaupten, daß du nie in die Lage kommen wirst, den einen oder den andern nötig zu haben? Mach dir doch keine Feinde; du hast ja sonst keine, du bist ein guter Kerl; dank dieser Eigenschaft, mit der du die Leute direkt bezaubern kannst, haben wir uns noch immer ziemlich gut herausgezogen! ...«
»Genug, genug!« sagte Colleville, der seinen Rock über einen Stuhl hängte und seine Krawatte abnahm; »ich habe unrecht, und du hast recht, meine Schönste.«
»Bei der ersten Gelegenheit, du dickes Schaf,« sagte die schlaue Hausmutter und klopfte ihrem Mann auf die Backen, »wirst du versuchen, dem kleinen Advokaten eine Liebenswürdigkeit zu sagen; das ist ein Schlaukopf, den müssen wir für uns gewinnen. Er spielt Komödie? ... Schön, spiel du auch mit ihm Komödie; tu, als ob du ihm glaubst, und wenn er begabt ist und Zukunftsaussichten hat, dann mach ihn dir zum Freunde. Meinst du, daß ich dich noch lange als Stadtsekretär sehen möchte?«
»Kommen Sie her, Frau Colleville,« sagte der ehemalige Klarinettist der Komischen Oper und schlug sich aufs Knie, um anzuzeigen, wo seine Frau sich hinsetzen solle, »wärmen Sie sich die kleinen Füße, und plaudern wir noch ein bißchen ... Wenn ich dich ansehe, dann bin ich immer mehr davon überzeugt, daß die Jugend der Frauen in ihrer Figur liegt ...«
»Und in ihrem Herzen ...«
»In dem einen, wie in dem andern,« erwiderte Colleville, »eine leichte Gestalt und ein schweres Herz ...«
»Nein, du Schöps ... ein tiefes.«
»Wie hübsch das ist, daß du dir deinen weißen Teint erhalten hast, ohne daß du dick geworden bist! ... Gott, was hast du für zarte Knochen ... Höre, Flavia, und wenn ich mein Leben noch einmal von vorn anfangen sollte, ich möchte keine andere Frau haben als dich.«
»Du weißt auch ganz genau, daß ich dich immer lieber als ›die Andern‹ gehabt habe ... Ach, was ist das für ein Unglück, daß Monseigneur gestorben ist. Weißt du, was ich für dich gern gehabt hätte?«
»Nein.«
»Eine Stellung bei der Stadt mit zwölftausend Franken Gehalt, so etwas wie Kassierer bei der städtischen oder der Kasse von Poissy, oder Geschäftsführer.«
»Das würde mir alles gut passen.«
»Nun, vielleicht könnte dieses Scheusal von Advokat etwas für uns tun; er ist ein großer Intrigant: wir müssen Rücksicht auf ihn nehmen ... Ich werde bei ihm mal auf den Busch klopfen ... laß mich nur machen ... und vor allem störe ihm sein Spiel bei den Thuilliers nicht ...«
Theodosius hatte den wunden Punkt in Flavia Collevilles Herzen berührt, und das verdient eine Erläuterung, zu der wohl eine Analyse des weiblichen Empfindens erforderlich ist.
Mit vierzig Jahren verspüren die Frauen und besonders die, die von der vergifteten Frucht der Leidenschaft gekostet haben, ein tiefes Angstgefühl; sie merken, daß es zweierlei Tod gibt: den körperlichen und den seelischen. Teilt man die Frauen in zwei Kategorien, indem man, vulgär gesprochen, die Tugendhaften und die Schuldigen unterscheidet, so kann man sagen, daß sie von diesem gefährlichen Alter an Schreckliches zu leiden haben. Tugendhaft, aber in ihrem natürlichen Verlangen unbefriedigt, sei es, daß sie ihr Begehren im Herzen oder daß sie es vor dem Altar Gottes begraben haben, können sie sich nicht ohne Erschrecken eingestehen, daß für sie alles zu Ende ist. Dieses Gefühl kann so eigenartige und so fürchterliche Wirkungen hervorbringen, daß sich hieraus ihr Apostatentum erklären läßt, das zuweilen die Welt in Erstaunen und Schrecken versetzt. Sind sie schuldig, so geraten sie in eine Schwindel erregende Lage, die oft zum Irrsinn oder zum Tode führt, die aber auch in eine Leidenschaft von gleicher Gewalt umschlagen kann.
Das Dilemma einer solchen Krisis ist dieses: Entweder haben sie das Glück kennengelernt und ein tugendhaftes Leben geführt und können nun nicht anders, als diese von Glut geschwängerte Luft einatmen und sich in dieser duftenden Atmosphäre, wo die Schmeicheleien wie Liebkosungen wirken, bewegen; wie sollen sie dem widerstehen? Oder, was ein noch merkwürdigeres und selteneres Phänomen ist, sie haben auf der Suche nach dem fliehenden Glück nur schnell schal gewordene Freuden gefunden, aber sie haben, von der trügerischen Befriedigung der Eitelkeit
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