Die Kleinbürger (German Edition)
Feinde nicht Erwägungen anstellen dürfe, ein Wort, das Louis-Philippe zu der Nationalgarde von Metz geäußert hatte. Trotzdem erhielten Phellions bürgerlichen Tugenden und das große Ansehen, das er in seinem Stadtviertel genoß, ihn seit acht Jahren in seiner Stellung als Bataillonskommandeur. Da er jetzt dicht an sechzig war und den Zeitpunkt heranrücken sah, wo er den Degen und den Offizierskragen ablegen mußte, so hoffte er, daß der König die Gnade haben würde, ihn durch die Verleihung der Ehrenlegion für seine Dienste zu belohnen.
Die Wahrheit zwingt uns zu sagen, trotz des Schattens, den eine solche Schwäche auf einen so edlen Charakter wirft, daß der Kommandant Phellion sich bei den Empfängen in den Tuilerien auf die Fußspitzen stellte; er drängte sich vor und warf dem Bürgerkönig, wenn er an seinem Tische speiste, verführerische Blicke zu; aber trotz seiner heimlichen Bemühungen war er von dem Könige seiner Wahl noch nicht bemerkt worden. Der ehrenwerte Mann hatte schon mehr als einmal daran gedacht, aber sich noch nicht entschließen können, Minard zu bitten, ihn bei seinen geheimen ehrgeizigen Wünschen zu unterstützen.
Phellion, der Mann des passiven Gehorsams, war ein Stoiker in bezug auf seine Pflicht und von eherner Festigkeit in allem, wo es sich um seine Überzeugung handelte. Um sein Bild auch nach der körperlichen Seite hin zu vervollständigen, so sei gesagt, daß Phellion mit seinen neunundfünfzig Jahren, um einen Bourgeoisausdruck zu gebrauchen, »stark geworden« war; sein ausdruckloses pockennarbiges Gesicht war wie ein Vollmond, so daß seine früher zu dicken Lippen nicht mehr auffielen. Seine schwach gewordenen Augen hatten hinter den Brillengläsern nicht mehr den Ausdruck hellblauer Unschuld, der zum Lachen gereizt hatte; seine weißen Haare verbreiteten über das, was zwölf Jahre früher kindisch und lächerlich an ihm erschien, eine gewisse Würde. Die Zeit, die Gesichter mit feinen zarten Zügen so unheilvoll verändert, verschönert solche, die in der Jugend eine grobe plumpe Form hatten; das war auch bei Phellion der Fall. Er benutzte die Muße seines Alters dazu, einen Abriß der Geschichte Frankreichs zu verfassen; er hatte schon vorher einige Bücher geschrieben, die von der Universität anerkannt waren.
Als la Peyrade erschien, war die Familie vollzählig versammelt; Frau Barniol hatte ihrer Mutter eben über ihre Kinder, die ein leichtes Unwohlsein hatten, berichtet. Der Ingenieurschüler verbrachte diesen Tag zu Hause. Alle waren sonntäglich gekleidet und saßen am Kamin des holzgetäfelten Salons, der grau in grau gemalt war, auf billigen Holzsesseln; sie erschraken, als Genovefa, die Köchin, die Persönlichkeit anmeldete, über die sie gerade in bezug auf Celeste sprachen, die Felix Phellion so sehr liebte, daß er zur Messe gegangen war, um sie dort zu sehen. Der gelehrte Mathematiker hatte sich noch am heutigen Morgen diese Mühe gemacht, und man neckte ihn in wohlwollender Weise damit, mit dem heimlichen Wunsche, daß Celeste und ihre Eltern erkennen möchten, welch ein kostbarer Schatz ihnen hier geboten wurde.
»Ach, die Thuilliers scheinen mir an diesem sehr gefährlichen Menschen einen Narren gefressen zu haben«, sagte Frau Phellion; »heute morgen ist er sogar Arm in Arm mit Frau Colleville nach dem Luxembourggarten gegangen.«
»Dieser Advokat hat etwas Unheilverkündendes an sich«, rief Felix Phellion; »es sollte mich nicht wundern, wenn er ein Verbrechen begangen hätte.«
»Du gehst zu weit«, sagte der alte Phellion; »er ist aber ein leiblicher Vetter Tartuffes, dieser unsterblichen Figur, die von unserm ehrenwerten Molière in Bronze gegossen worden ist, denn die Grundlage von Molières Genie, Kinder, waren Ehrenhaftigkeit und Vaterlandsliebe.«
Gerade bei dieser Bemerkung war Genovefa eingetreten und hatte gesagt:
»Da ist Herr de la Peyrade, er möchte den Herrn sprechen.«
»Mich?« rief Herr Phellion. »Bitten Sie ihn, einzutreten!« setzte er hinzu mit einer Feierlichkeit, die bei solchen kleinlichen Anlässen etwas Lächerliches hatte, die aber stets seiner Familie imponierte, in der er wie ein König behandelt wurde.
Phellion, seine beiden Söhne, seine Frau und seine Tochter erhoben sich und erwiderten die Rundverbeugung des Advokaten.
»Welchem Anlaß verdanken wir die Ehre Ihres Besuches?« sagte Phellion ernst.
»Ihrer bedeutenden Stellung in diesem Bezirk, mein verehrter Herr Phellion, und einer öffentlichen
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