Die Kleinbürger (German Edition)
entfaltet.
Das Haus, wohin Theodosius seine Schritte bald danach lenkte, war seit fünfundzwanzig Jahren das »hoc erat in votis« Phellions; gleichzeitig gehörte es ebensosehr zu Phellion, wie die Schnüre an Cérizets Überrock ein für diesen charakteristisches Abzeichen waren.
Das an ein großes Haus angeklebte Gebäude hatte nur die Tiefe eines Zimmers, etwa zwanzig Fuß, und besaß an jeder Ecke eine Art einfenstrigen Pavillon. Sein Hauptvorzug war ein Garten, etwa hundertachzig Fuß breit und länger als die ganze Fassade des Vorhofes, in dem sich eine Gruppe von Lindenbäumen befand. Der Hof war neben dem einen Pavillon nach der Straße zu durch zwei Gitter abgeschlossen, zwischen denen sich eine kleine zweiflügelige Tür öffnete. Dieser aus Bruchsteinen und Mörtel aufgeführte Bau war zwei Stockwerke hoch, gelb angestrichen, hatte grüne Jalousien und im Erdgeschoß Fensterläden von gleicher Farbe. Im Erdgeschoß des nach dem Hofe zu gelegenen Pavillons befand sich die Küche, und die Köchin, eine starke dicke Person, versah, unterstützt von zwei riesigen Hunden, gleichzeitig die Geschäfte einer Portiersfrau. Die Fassade, die von fünf Fenstern und den um sechs Fuß vorspringenden Pavillons gebildet wurde, war im echten Stile Phellion gehalten. Über der Tür war eine Marmortafel eingelassen, auf der in goldenen Lettern zu lesen stand: »Aurea mediocritas«. Über einer an der Fassade angemalten Sonnenuhr stand der weise Spruch angeschrieben: »Umbra mea vita, sic«!
Die Fensterbrüstungen waren kürzlich aus rotem Languedoc-Marmor neu hergestellt worden, der sich in einem Marmorgeschäft vorgefunden hatte. Im Hintergrunde des Gartens war eine bunt bemalte Statue aufgestellt, die die Passanten für eine ein Kind nährende Amme zu halten pflegten. Im Erdgeschoß lagen nur ein Salon und ein Speisezimmer, getrennt durch eine schmale Treppe, deren Absatz ein Vorzimmer bildete. An den Salon stieß noch ein kleiner Raum, der Phellion als Arbeitszimmer diente.
Im ersten Stock lagen die Zimmer der beiden Ehegatten und das des jungen Professors, darüber die Kinderzimmer und die der Dienstboten; Phellion hatte sich, mit Rücksicht auf sein Alter und das seiner Frau, einen männlichen Dienstboten, einen Jungen von fünfzehn Jahren zugelegt, zumal seitdem sein Sohn durch seinen Unterricht bekannt geworden war. Wenn man durch den Hof kam, befanden sich links kleine Kammern zum Aufbewahren des Brennholzes, in denen der frühere Besitzer den Portier untergebracht hatte. Phellions warteten anscheinend die Verheiratung ihres Sohnes, des Professors ab, um sich auch noch diese letzte Annehmlichkeit zu leisten. Dieses Grundstück, auf das Phellions schon längst ein Auge geworfen hatten, hatte sie im Jahre 1831 achtzehntausend Franken gekostet. Vom Hofe war das Haus durch ein Balustrade aus Hausteinen getrennt, mit einem Dach von Hohlziegeln und mit Fliesen ausgelegt. An dieser kleinen Mauer von Brusthöhe zog sich eine Hecke von bengalischen Rosen hin, und in ihrer Mitte befand sich eine Holzlattentür, die gegenüber der geschlossenen Tür nach der Straße hin lag.
Wer die Sackgasse des Feuillantines kennt, wird wissen, daß das Haus Phellions, das rechtwinklig zur Chaussee steht, direkt nach Süden blickt und gegen Norden durch die riesige Brandmauer, an die es sich anlehnt, geschützt ist. Die Kuppel des Pantheons und die der Kirche Val-de Grâce gleichen von hier aus zwei Riesen und sind so nahe gerückt, daß man sich in dem Garten wie in einem Engpasse bewegt. Im übrigen gibt es keinen stilleren Ort als die Sackgasse des Feuillantines. Hierher hatte sich der unbekannte erhabene Bürger zurückgezogen und genoß die Annehmlichkeiten des Ruhestandes, nachdem er dem Vaterlande seine Schuld durch seine Arbeit im Finanzministerium bezahlt, und sich nach sechsunddreißigjähriger Dienstzeit als Sekretär zur Ruhe gesetzt hatte. Im Jahre 1832 hatte er sein Bataillon der Nationalgarde bei dem Angriff von Saint-Merri geführt, aber seine Nachbarn sahen Tränen in seinen Augen bei dem Gedanken, daß er auf irregeleitete Franzosen schießen lassen solle. Die Affäre war schon entschieden, als die Legion im Laufschritt über die Notre-Dame-Brücke heranrückte, nachdem sie einen Umweg über den Quai aux Fleurs gemacht hatte. Diese rühmenswerte Verzögerung hatte ihm die Achtung seines Bezirks eingetragen, ihn aber die Verleihung des Ordens der Ehrenlegion gekostet; der Oberst hatte laut erklärt, daß man vor dem
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