Die Kleinbürger (German Edition)
geworden war, andauernd großartig; er entwaffnete das Mißtrauen durch die Art, wie er sich beiseite hielt; er schien nichts anderes als ein Möbelstück mehr zu sein; er ließ die Phellions und Minards in dem Glauben, daß er von Brigitte und von Thuillier gezählt und gewogen und zu leicht befunden war, so daß er niemals etwas anderes werden konnte als ein netter junger Mann, dem man nützlich sein wollte.
»Er denkt vielleicht,« sagte Thuillier eines Tages zu Minard, »daß meine Schwester ihn in ihrem Testament bedenken wird; aber da kennt er sie noch nicht.«
Dieses Wort, eine Idee von Theodosius, beschwichtigte die Bedenken des mißtrauischen Minards.
»Er ist uns ja sehr ergeben,« sagte an einem andern Tage die alte Jungfer zu Phellion, »aber er ist uns auch einigermaßen zu Dank verpflichtet: wir lassen ihn umsonst wohnen, und er ißt fast immer bei uns ...«
Diese Ablehnung von Seiten des alten Fräuleins, die Theodosius angeregt hatte, ging in den Familien, die im Salon Thuillier verkehrten, von Mund zu Mund und zerstreute alle Befürchtungen, und Theodosius unterstützte die Äußerungen, die Thuillier und seine Schwester fallen gelassen hatten, durch die Unterwürfigkeit eines Schmarotzers. Beim Whist rechtfertigte er die Fehler, die sein »Freundchen« machte. Sein Lächeln, starr und gütig wie das der Frau Thuillier, begleitete alle kleinbürgerlichen Albernheiten der Schwester und des Bruders.
So erreichte er, wonach er mit aller Macht strebte, daß er von seinen wirklichen Gegnern übersehen wurde, und schuf sich einen Schirm, hinter dem sein Einfluß verborgen blieb. Vier Monate hindurch zeigte er den starren Ausdruck einer Schlange, die ihre verschluckte Beute verdaut. Zuweilen ging er mit Colleville oder Flavia in den Garten, um sich dort auszulachen, seine Maske abzulegen, sich zu erholen und neue Kräfte zu sammeln, und überließ sich vor seiner zukünftigen Schwiegermutter nervösen Leidenschaftsausbrüchen, über die sie erschrak, oder die sie rührten.
»Tue ich Ihnen nicht leid?« ... sagte er am Abend vor dem provisorischen Zuschlag des Hauses, das Thuillier für fünfundsiebzigtausend Franken an sich brachte. »Ein Mann wie ich muß mit Katzentritten schleichen, seinen Spott zurückhalten und seine Galle hinunterschlucken! ... und dann noch bei Ihnen Widerstand finden!«
»Aber lieber Freund, mein liebes Kind!« ... sagte Flavia, die sich noch nicht entschieden hatte.
Diese Worte zeigten, bis zu welcher Temperatur der gewandte Künstler seine Intrige mit Flavia gesteigert hatte. Die arme Frau schwankte zwischen den Ansprüchen ihres Herzens und ihres Gewissens, zwischen ihrem religiösen Gefühl und ihrer ihr selbst unerklärbaren Leidenschaft hin und her. Inzwischen gab der junge Felix Phellion mit rühmlicher Hingebung und Beharrlichkeit dem jungen Colleville Stunden; er opferte seine Zeit und glaubte damit für seine zukünftige Familie zu arbeiten. Um sich dafür dankbar zu zeigen, lud man auf Theodosius' Anraten den Professor an den Donnerstagen bei Collevilles zum Essen ein, und der Advokat fehlte niemals dabei. Flavia häkelte ihm bald eine Börse, bald stickte sie ihm Pantoffeln oder eine Zigarrentasche, und der glückliche junge Mann erklärte:
»Ich bin doch schon genügend belohnt, gnädige Frau, durch das Glück, Ihnen nützlich sein zu können.«
»Wir sind nicht reich, Herr Phellion,« erwiderte Colleville, »aber, Teufel noch mal, wir wollen auch nicht undankbar sein!«
Der alte Phellion rieb sich die Hände, wenn sein Sohn nach solchen Abenden zu Hause davon erzählte, und er sah seinen geliebten edlen Felix bereits als Celestes Gatten.
Trotzdem, je mehr Celeste ihn liebte, um so ernster und schwermütiger zeigte sie sich gegen Felix, nachdem ihre Mutter sie eines Abends ernsthaft zur Rede gestellt und ihr gesagt hatte:
»Du darfst dem jungen Phellion keine Hoffnung machen, mein Kind. Weder dein Vater noch ich können über deine Verheiratung bestimmen; du hast Rücksicht auf deine Aussichten zu nehmen; es handelt sich weniger darum, einem vermögenslosen Professor zu gefallen, als dir die Zuneigung Fräulein Brigittes und deines Paten zu sichern.
Wenn du deine Mutter nicht umbringen willst, mein Engel, jawohl, ins Grab bringen ... dann mußt du mir hierin blindlings gehorchen, und sei fest überzeugt, daß wir vor allem doch dein Glück wollen.«
Da die endgültige Erteilung des Zuschlags auf Ende Juli festgesetzt war, so riet Theodosius Ende Juni
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