Die kleine Schwester
Lächeln.
»Lassen Sie's gut sein mit der Knarre«, sagte er. »In der Stadt gibt's genug Alteisen.
Aber Sie könnten die Klinge bei Clausen abgeben. Hab viel dran gearbeitet, um sie so hinzukriegen.«
»Auch damit gearbeitet?« sagte ich.
»Vielleicht.« Er schnippte die Finger zu mir hin. »Vielleicht treffen wir uns bald mal wieder. Wenn ich einen Freund dabei habe.«
»Sagen Sie ihm, er soll ein sauberes Hemd anziehen«, sagte ich, »und Ihnen auch eines leihen.«
»Mannomann«, sagte der kleine Mann verärgert, »was sind wir doch gleich für harte Burschen, wenn die uns diesen Stern angepinnt haben.«
Er ging leise an mir vorbei und über die Holztreppe der Hinterveranda. Seine Schritte tappten zur Straße und verklangen. Sie hörten sich sehr ähnlich an wie Orfamays Absätze, als sie den Gang meines Bürohauses entlanggeklappert waren. Irgendwie hatte ich ein leeres Gefühl, als hätte ich meine Trümpfe falsch gezählt. Keinerlei Grund dafür. Vielleicht war es die stählerne Kondition des kleinen Mannes. Kein Klagelaut, kein Poltern, nur das Lächeln, das Durch-die-Zähne-Pfeifen, die leichte Stimme und die Augen, die nichts vergaßen.
Ich ging rüber und hob das Messer auf. Die Klinge war lang und rund und dünn, wie eine Feile ohne Holzgriff, die abgeschliffen worden war. Der Griff und das Heft waren leichtes Plastik und schienen aus einem Stück. Ich hielt das Messer am Griff und gab ihm einen kurzen Stoß in Richtung auf den Tisch. Die Klinge flog raus und zitterte im Holz.
Ich holte tief Atem, steckte den Griff wieder an und hebelte die Klinge wieder vom Tisch los. Ein merkwürdiges Messer, zweckmäßig konstruiert und in keiner Hinsicht erfreulich.
Ich öffnete die Tür jenseits der Küche und ging durch, mit dem Messer und dem Revolver in einer Hand.
Es war ein Wohnzimmer mit Klappbett, das Klappbett war runtergeklappt und zerwühlt.
Ein stark gepolsterter Stuhl war da, in eine Seitenlehne war ein Loch gebrannt. An der Wand neben dem Vorderfenster stand ein hohes eichenes Schreibpult mit schrägen Türen wie altmodische Kellertüren. In der Nähe stand eine Studio-Couch, und auf der Couch lag ein Mann. Seine Füße in knotigen grauen Socken hingen über das Couchende. Sein Kopf hatte das Kopfkissen um einen halben Meter verfehlt. In Anbetracht der Farbe der Kissenhülle war das nicht so schlimm. Sein oberer Teil steckte in einem farblosen Hemd und einem gewöhnlichen grauen Hängepullover. Sein Mund war offen, sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und er schnaufte wie ein alter Ford mit einer defekten Kühlerdichtung.
Auf einem Tisch neben ihm war ein Teller voller Zigarettenstummel, von denen einige nach Heimarbeit aussahen. Auf dem Boden eine fast volle Ginflasche und eine Tasse, die anscheinend Kaffee enthalten hatte, aber keineswegs vor kurzem. Der Raum war zur Hauptsache mit Gin und schlechter Luft gefüllt, aber es gab auch Anklänge an Marihuanarauch.
Ich öffnete ein Fenster, lehnte meine Stirn gegen das Fliegennetz, um etwas reine Luft in meine Lungen zu kriegen, und blickte auf die Straße. Zwei Knirpse traten ihre Räder am Zaun des Holzlagers entlang und stoppten von Zeit zu Zeit, um die Werke der Toilettenkunst auf den Brettern zu studieren. Sonst bewegte sich nichts in der Nachbarschaft. Nicht mal ein Hund. Unten an der Ecke stand Staub in der Luft, als ob da grade ein Auto vorbeigefahren wäre.
Ich ging rüber zu dem Pult. Darin war ein Meldebuch, also blätterte ich zurück bis ich auf den Namen Orrin P. Quest stieß; er war in einer klaren peniblen Handschrift geschrieben, und daneben stand die Nummer 214, die von einer anderen Hand stammte, die keineswegs klar und penibel war. Ich ging das Meldebuch bis zum Ende durch, fand aber keine neue Eintragung für Zimmer 214. Ein Kunde namens G. W.
Hicks hatte Zimmer 215. Ich schloß das Buch in das Pult ein und wanderte hinüber zur Couch. Der Mann unterbrach sein Schnarchen und Blasen und schlug mit seinem Arm auf seinen Körper, als ob er grade eine Rede halten wollte. Ich beugte mich runter, klemmte seine Nase fest zwischen den ersten und zweiten Finger und stopfte ihm eine Handvoll Pullover in den Mund. Er hörte auf zu schnarchen und riß seine Augen auf.
Sie waren glasig und blutunterlaufen. Er wehrte sich gegen meine Hand. Als ich sicher war, daß er ganz wach war, ließ ich ihn los, griff mir die Ginflasche vom Boden und goß etwas in ein Glas, das umgekippt daneben lag. Dann zeigte ich dem Mann das Glas.
Seine Hand
Weitere Kostenlose Bücher