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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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schläfst.«
    Ich drehte ihre Hand um und zog die Finger auseinander. Sie waren steif und sperrten sich. Ich nahm einen nach dem andern. ich glättete ihre Handfläche.
    »Sagen Sie mir, warum hatten Sie den Revolver bei sich?«
    »Den Revolver?«
    »überlegen Sie nicht lange. Sagen Sie's einfach. Wollten Sie ihn töten?«
    »Warum nicht, Liebling? Ich dachte, ich bedeute ihm etwas. Vielleicht bin ich ein bißchen eitel. Er hat mich reingelegt. Den Steelgraves dieser Welt bedeutet niemand etwas. Und nun bedeutet auch den Mavis Welds der Welt niemand mehr etwas.«
    Sie rückte etwas von mir ab und lächelte dünn. »Ich hätte Ihnen die Kanone nicht geben sollen. Wenn ich Sie umgelegt hätte, käme ich vielleicht jetzt noch raus.«
    Ich zog sie raus und hielt sie ihr hin. Sie nahm sie und stand schnell auf. Der Revolver war auf mich gerichtet. Das müde kleine Lächeln trat wieder auf ihre Lippen. Ihr Finger lag fest am Abzug.
    »Hoch schießen«, sagte ich. »Ich habe meine kugelsichere Unterhose an.«
    Sie ließ den Revolver sinken, und einen Augenblick lang starrte sie mich an. Dann schmiß sie den Revolver auf den Diwan.
    »Ich glaube, der Text gefällt mir nicht«, sagte sie. »Ich mag den Dialog nicht. Ich bin nicht so - wenn Sie das verstehen.«
    Sie lachte und sah zu Boden. Ihre Schuhspitze bewegte sich auf dem Teppich hin und her. »Wir hatten ein hübsches Plauderstündchen, Schatz. Da drüben, am Ende der Bar, ist das Telefon.«
    »Danke. Haben Sie die Nummer von Dolores im Kopf?«
    »Warum Dolores?«
    Als ich nicht antwortete, sagte sie mir die Nummer. Ich ging durch den Raum zur Ecke und wählte. Die übliche Prozedur. »Guten Abend, hier Chateau Bercy, Sie wünschen Miss Gonzales - Ihr Name bitte? Einen Moment bitte«, summ, summ, und dann eine Schlafzimmerstimme: »Hallo?«
    »Hier ist Marlowe. Wollten Sie mich wirklich abknallen lassen?«
    Ich konnte beinahe hören, wie sie den Atem anhielt. Nicht ganz. Man kann es nicht wirklich durchs Telefon hören. Manchmal meint man, man könnte es.
    »Amigo, bin ich aber froh, Ihre Stimme zu hören«, sagte sie. »Ich bin ja so froh.«
    »Wollten Sie oder nicht?«
    »Ach - ich weiß nicht. Es macht mich traurig, wenn ich dran denke. Ich mag Sie sehr gern.«
    »Ich bin hier etwas in der Klemme.«
    »Ist er ... « - lange Pause. Die Hausvermittlung. Vorsicht. »Ist er da?«
    »Na ja - irgendwie schon. Er ist da und ist nicht da.«
    Diesmal hörte ich ihren Atem wirklich. Ein langes, seufzendes Einatmen, fast ein Pfeifen.
    »Wer ist sonst noch da?«
    »Niemand. Bloß ich und meine Hausarbeit. Ich wollte Sie etwas fragen. Es ist besonders wichtig. Sagen Sie die Wahrheit. Wo haben Sie das Ding her, das Sie mir heute abend gegeben haben?«
    »Na - von ihm. Er hat es mir gegeben.«
    »Wann?«
    »Am frühen Abend. Warum?«
    »Wie früh?«
    »So um sechs Uhr, glaube ich.«
    »Warum hat er es Ihnen gegeben?«
    »Er bat mich, sie aufzuheben. Er trug immer eine.«
    »Bat Sie, sie aufzuheben. Warum?«
    »Das sagte er nicht, Amigo. Er war eben jemand, der so was machte. Gründe hat er selten angegeben.«
    »Ist Ihnen irgendwas da dran aufgefallen? An dem Ding, das er Ihnen gegeben hat?«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Aber sicher. Sie haben bemerkt, daß es zweimal abgefeuert worden war und nach verbranntem Pulver roch.«
    »Das habe ich nicht gemerkt ... «
    »Doch, Sie haben. Klar haben Sie. Sie haben sich Gedanken darüber gemacht. Sie wollten sie nicht behalten. Sie haben sie ihm zurückgegeben. Sie haben so was sowieso nicht gerne.«
    Ein langes Schweigen folgte. Schließlich sagte sie: »Ja, natürlich. Aber warum wollte er sie mir geben? Wenn diese Sache wirklich passiert war?«
    »Er hat es Ihnen ja nicht gesagt. Er wollte Ihnen einfach eine Kanone unterjubeln, und Sie hatten keine. Wissen Sie noch?«
    »Muß ich das aussagen?«
    »Si.«
    »Kann mir auch nichts passieren, wenn ich es sage?«
    »Seit wann interessiert Sie das denn?«
    Sie lachte leise. »Amigo, Sie verstehen mich sehr gut.«
    »Gute Nacht«, sagte ich.
    »Moment mal, Sie haben mir nicht gesagt, was passiert ist. «
    »Ich habe noch nicht mal mit Ihnen telefoniert.«
    Ich legte auf und drehte mich um.
    Mavis Weld stand in der Mitte des Raumes und beobachtete mich.
    »Haben Sie Ihren Wagen hier?« fragte ich.
    »Ja.«
    »Also los.«
    »Und was soll ich machen?«
    »Nach Hause fahren. Sonst nichts.«
    »Damit kommen Sie doch nicht durch«, sagte sie schwach.
    »Sie sind meine Klientin.«
    »Ich kann das

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