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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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durch ihn.« Ich deutete mit dem Kinn auf den toten Mann im Sessel. »Diese Bekannte fuhr mit mir her. Wir kamen an der Straßensperre vorbei. Mehrere Leute haben uns gesehen. Ich bin an der Rückseite des Hauses ausgestiegen, und sie fuhr zurück.«
    »Jemand mit einem Namen?« fragte French.
    »Dolores Gonzales, Chateau Bercy Apartments. An der Franklin Avenue. Sie arbeitet beim Film.«
    »Oho«, sagte Beifus und rollte die Augen.
    »Wer ist Ihr Klient? Dieselbe?« fragte French.
    »Nein, das ist jemand ganz anders.«
    »Mit einem Namen?«
    »Noch nicht.«
    Sie starrten mich mit harten, hellen Gesichtern an. Die Kinnbacken von French bewegten sich fast ruckartig. Dicke Muskeln erschienen an den Seiten.
    ,Wir haben wohl neue Regeln, was?« sagte er milde.
    Ich sagte: »Wir müssen irgendeine Abmachung haben, betreffend Publicity. Der Staatsanwalt muß einverstanden sein.«
    Beifus sagte: »Sie wissen wohl nicht, wie der Staatsanwalt ist, Marlowe. Der ist so scharf auf Publicity wie ich auf zarte junge Gartenerbsen.«
    French sagte: »Wir machen Ihnen keinerlei Versprechen.«
    »Sie hat keinen Namen«, sagte ich.
    »Lieber Freund, wir haben ein Dutzend Methoden, um das rauszukriegen«, sagte Beifus. »Warum dieser Umstand, warum diese Schwierigkeiten für uns alle?«
    »Keinerlei Publicity«, sagte ich. »Außer wenn wirklich Anklage erhoben wird.«
    »Damit kommen Sie nicht durch, Marlowe.«
    »Verdammt noch mal«, sagte ich, »dieser Mann hat Orrin Quest getötet. Nehmen Sie diesen Revolver mit und vergleichen Sie mit den Kugeln, die in ihm stecken. Kommen Sie mir wenigstens soweit entgegen, bevor Sie mich in eine unmögliche Lage bringen.«
    »Ihnen gebe ich noch nicht mal das schwarze Ende von einem abgebrannten Streichholz«, sagte French.
    Ich sagte nichts. Er starrte mich an, die Augen eiskalt vor Haß. Seine Lippen bewegten sich langsam, und seine Stimme war mühsam, als er sagte. »Waren Sie hier, als ihm das verpaßt wurde?«
    »Nein.«
    »Wer dann?«
    »Er«, sagte ich, und sah hinüber auf den toten Steelgrave.
    »Wer noch?«
    »Ich werde Sie nicht anlügen«, sagte ich. »Und ich werde Ihnen kein Wort sagen, das ich nicht sagen will - außer zu den genannten Bedingungen. Ich weiß nicht, wer hier war, als er erschossen wurde.«
    »Wer war denn hier, als Sie ankamen?«
    Ich antwortete nicht. Er drehte langsam den Kopf und sagte zu Beifus: »Legen Sie ihm Handschellen an. Hinten.«
    Beifus zögerte. Dann nahm er ein Paar stählerne Handschellen aus seiner linken Hüfttasche und kam zu mir herüber. »Legen Sie Ihre Hände auf den Rücken«, sagte er mit unbehaglicher Stimme.
    Ich machte es. Er ließ die Handschellen einschnappen. French kam langsam herüber und stand vor mir. Seine Augen waren halb geschlossen. Die Haut um sie herum war grau vor Müdigkeit.
    »Ich werde Ihnen jetzt eine kleine Rede halten«, sagte er. "Sie wird Ihnen nicht gefallen.«
    Ich sagte nichts.
    French sagte: »Mit uns ist das so. Wir sind Bullen, und alle hassen uns zutiefst. Und gerade, als ob wir nicht so schon genug Arger hätten, müssen wir uns auch noch mit Ihnen herumschlagen. Gerade, als ob wir nicht sowieso schon unser Fett bekämen, von den Revieren, der Bande im Rathaus, dem Chef vom Dienst, dem Nachtchef, der Handelskammer, von dem sehr ehrenwerten Herrn Bürgermeister in seinem getäfelten Büro, das viermal so groß ist wie die drei miesen Zimmerchen, in denen die ganze Mordkommission arbeiten muß. Als ob wir nicht mit hundertvierzehn Mordfällen im Jahr fertigwerden müssen, in diesen drei Zimmern, wo noch nicht mal genug Stühle sind, daß eine ganze Schicht sich auf einmal hinsetzen kann. Unser Leben verbringen wir damit, in dreckiger Unterwäsche zu wühlen und faule Zähne zu riechen. Wir steigen in dunklen Treppenhäusern rauf, um einen Revolverhelden mit einer Ladung Hasch zu fangen, und manchmal kommen wir nicht mal bis oben, und unsere Frauen warten am Abend mit dem Essen, und auch an allen anderen Abenden danach. Wir kommen kaum noch nach Hause. Und an den Abenden, an denen wir heimkommen, sind wir so verdammt müde, daß wir nicht essen oder schlafen können oder die ganzen Lügen lesen können, die in der Zeitung über uns gedruckt werden. Also liegen wir schlaflos im Dunkeln in einem billigen Haus in einer billigen Straße und hören, wie die Besoffenen an der Ecke ihr Vergnügen haben. Und grade, wenn wir soeben einschlafen, klingelt das Telefon, und wir stehen auf, und alles fängt wieder von vorne

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