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Die kleine Schwester

Die kleine Schwester

Titel: Die kleine Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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nicht zulassen. Ich habe ihn getötet. Warum müssen Sie da reingezogen werden?«
    »Keine langen Reden. Und wenn Sie wegfahren, fahren Sie den hinteren Weg. Nicht so, wie Dolores mich hergefahren hat.«
    Sie starrte mir gerade in die Augen und wiederholte mit angespannter Stimme: »Aber ich habe ihn getötet.«
    »Ich verstehe kein Wort.«
    Ihre Zähne drückten sich grausam in die Unterlippe. Sie schien kaum zu atmen. Sie stand starr. Ich ging zu ihr hinüber und berührte ihre Wange mit der Fingerspitze. Ich drückte fest drauf und beobachtete den weißen Fleck, der rot wurde.
    »Wenn Sie mein Motiv wissen wollen«, sagte ich, »- mit Ihnen hat es nichts zu tun. Ich bin das den Bullen schuldig. Ich habe in diesem Spiel nicht immer sauber gespielt. Sie wissen es, und ich weiß es auch. Ich gebe Ihnen bloß mal einen Grund, um die große Trommel zu rühren.«
    »Als ob das jemand nötig hätte«, sagte sie, wandte sich plötzlich um und ging fort. Ich sah ihr nach, bis zum Durchgang, wartete, daß sie zurücksah. Sie ging durch, ohne sich umzudrehen. Nach einer langen Zeit hörte ich ein Surren. Dann das Rumpeln von etwas Schwerem - die Garagentür ging auf. Weit weg startete ein Auto. Es ging in Leerlauf - dann wieder das Surren.
    Als das vorbei war, hörte man Motorgeräusch in der Ferne leiser werden. Dann hörte ich nichts mehr. Die Stille des Hauses hing um mich herum wie die Falten dieser Pelzjacke um Mavis Welds Schultern.
    Ich trug das Glas und die Kognakflasche zur Bar und kletterte darüber. Ich spülte das Glas in einem kleinen Spülbecken und stellte die Flasche in das Bord zurück. Diesmal fand ich den verborgenen Riegel und stieß die Tür gegenüber vom Telefon auf. Ich ging nochmal zu Steelgrave.
    Ich holte den Revolver heraus, den Dolores mir gegeben hatte, wischte ihn ab und legte seine kleine schlaffe Hand um den Griff; so hielt ich sie und ließ dann los. Der Revolver plumpste auf den Teppich. Er lag da ganz natürlich. Es ging gar nicht um Fingerabdrücke. Er hatte sicher schon lange gelernt, wie man keine hinterläßt.
    Jetzt hatte ich noch drei Revolver übrig. Die Waffe in seinem Halfter holte ich raus, ging rüber und steckte sie unter die Bar, in ein Handtuch gewickelt. Die Luger faßte ich nicht an. Da war noch die andere Automatik mit weißem Griff. Ich versuchte, mir zu überlegen, wie weit weg von ihm sie abgefeuert worden war. Weit genug, um keine Verbrennung zu hinterlassen, aber wohl nicht viel weiter. Ich stellte mich etwa drei Fuß von ihm weg und schoß zweimal an ihm vorbei. Die Schüsse bohrten sich friedlich in die Wand. Ich zog den Sessel herum, bis er dem Raum zugekehrt war. Ich legte die kleine Automatik auf den Schutzüberzug eines der Roulette-Tische. Ich berührte den großen Muskel seitlich an seinem Hals - gewöhnlich das erste, was erstarrt. Ich konnte nicht sagen, ob es schon angefangen hatte. Aber seine Haut war kühler als vorhin.
    Besonders viel Zeit hatte ich nicht zu vertrödeln.
    Ich ging zum Telefon und wählte die Nummer des Polizeipräsidiums in Los Angeles. Die Vermittlung sollte mich mit Christy French vermitteln. Dann eine Stimme der Mordkommission, die sagte, er sei heimgegangen, und um was es ginge. Ich sagte, ein persönlicher Anruf, auf den er wartete. Sie gaben mir seine Telefonnummer zu Hause, widerwillig - nicht, weil sie ihn schonen wollten, sondern weil sie nie jemandem etwas geben wollen.
    Ich wählte, und eine Frau kam dran und kreischte seinen Namen. Er klang erholt und ruhig.
    »Hier ist Marlowe. Was haben Sie grade gemacht?«
    »Meinem Kleinen aus der Witzseite vorgelesen. Er müßte längst schlafen. Was gibt's denn?«
    »Wissen Sie noch, gestern, im Van Nuys Hotel, wie Sie gesagt haben, wenn jemand was über Weepy Moyer hätte - der hätte bei Ihnen einen Stein im Brett.«
    »Weiß ich, ja.«
    »Einen Stein im Brett könnte ich jetzt brauchen.«Er klang nicht sehr interessiert. »Was haben Sie denn über ihn?«
    »Ich nehme an, er ist identisch mit Steelgrave.«
    »Zu viele Annahmen, junge. Wir hatten ihn hier im Bau, weil wir das auch dachten. Es kam nichts dabei raus.«
    »Sie haben einen Tip bekommen. Das hat er aber selbst arrangiert. So daß er schön bei euch zu Hause war, in der Nacht, als Stein abgemurkst wurde.«
    »Denken Sie sich das gerade aus oder haben Sie Beweise?« Er klang etwas weniger ausgeruht.
    »Könnten Sie beweisen, daß jemand durch einen Passierschein vom Gefängnisdoktor aus dem Bau rauskam?«
    Ein Schweigen

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