Die kleinen Freuden des Lebens
einen Rasenmäher, einen Feuerlöscher,
ein Schiller-Denkmal, die Gelben Seiten, ein Moped, eine Kuh, eine Gaskartusche, ein Pannendreieck, Krücken oder eine Gurkenzange
benutzen.
Die Fähigkeit, eine Flasche mit einem Feuerzeug zu öffnen, verleiht uns etwas Verwegenes, Indiana-Jones-Artiges. Sie ist fast
so gut, wie ohne Hilfsmittel ein Feuer zu entfachen, doch das ist in Zeiten der Zentralheizung nun wirklich überflüssig. Eine
spätabendliche Gartenparty aber, bei welcher der Flaschenöffner stets als erstes Utensil unter irgendeinem Tisch oder im knöcheltiefen
Rasen verschwindet, macht diese vermeintlich geschickte Handbewegung unentbehrlich, und Unentbehrlichkeit ist ein Gefühl,
das einen für einen Augenblick zu einem glücklichen Menschen machen kann. Am verwegensten sieht es aus, wenn man die Zigarette
in den Mundwinkel klemmt, weil man ja beide Hände braucht. Aber das Rauchen hat mir meine Frau längst abgewöhnt.
Ein Restaurant mit Zwölfertisch
E ine hoffnungslos mit Tellern, Flaschen, Aschenbechern und Gläsern überfüllte Tafel, und jeder Platz ist mit lärmenden guten
Freunden besetzt.
Meine Sammlung uralter Golfbücher
S o funktioniert mein Leben: Ich schreibe neue Bücher, damit ich mir uralte, auseinanderfallende Bücher leisten kann. Menschen
sind komisch.
Das Meer erahnen
B ei Fahrten aus Niedersachsen in Richtung Adria verliert man schnell mal das Gefühl für Distanzen und Zeiten. Vor allem,
wenn man erst sechs ist. Wir waren kaum auf der Autobahn, da hielten meine Schwester und ich schon nach dem Meer Ausschau
und unsere Eltern mit unserer Fragerei in Trab. Es war nicht mal so, dass wir quengelten (zumindest unterstelle ich das mal,
meine Eltern werden diese Ansicht wohl nicht teilen) – wieso denn auch, da vorn, hinter dem Hügel, würde ja gleich das Meer
auftauchen. Das Meer! Was für eine Magie damit verbunden war! Konnte es irgendetwas Paradiesischeres geben als warmen Sandstrand,
körnige, eigenhändig errichtete Schlösser und nie endende Ströme Speiseeis? Selbst später, als unsicherer, verpickelter Teenager,
war die italienische Adria eine Erfüllung: alle naselang praktisch nackte Mädchen, oft sogar ohne Oberteil; die eigene Urlaubsbräune
und das Gefühl, bei Frauen plötzlich Chancen zu haben, allein aufgrund der Tatsache, dass man so eine Art von blond war.
Ich hatte schon früh das Gefühl, es könne keine Stadt geben, die weiter von jedwedem Meer entfernt sei als Braunschweig. Braunschweig
liegt sehr unglücklich imsüdöstlichen Teil Niedersachsens, das heißt also ziemlich mitteldeutsch. Die Ostsee ist drei Stunden entfernt, die Nordsee
vier, die Adria zwölf. Generell ist Deutschland nicht am Wasser gebaut, sondern eher ein kontinentaler Brocken, ganz anders
als Großbritannien oder Italien, wo kaum ein Ort weiter als eine Autostunde von der Küste weg ist. Das Meer ist in Deutschland
nicht Alltag, sondern Urlaub. Und muss auch dann erst hart erarbeitet werden, nämlich mit stundenlanger hochsommerlicher Stop-and-go-Fahrerei
in vollgestopften, mitunter nicht klimatisierten Autos.
Noch heute, wenn ich auf die Insel Grado fahre, die meine Heimat geworden ist, verrenke ich mir den Hals, und der erste Anblick
von Meer, kurz hinter Aquileia bei Kilometer 482 meiner Fahrt ab München (wo mein Büro liegt), stimmt mich nach wie vor euphorisch.
Schon Kilometer vorher überlege ich mir, welche musikalische Untermalung dazu passen könnte, und wenn das Meer erst hinter
ein paar Bäumen auftaucht und dann ganz plötzlich, nach einer Rechtskurve, das gesamte Sichtfeld dominiert und noch ein paar
Meter weiter einen vollständig umgibt – Grado ist durch einen befahrbaren Damm mit dem Festland verbunden –, setze ich mich aufrecht hin, weil ich mich dem Eintritt in Eden würdig erweisen will. Aus dem C D-Player tönt Liszt oder Guns n’Roses oder Talulah Gosh (eine obskure weibliche Alternative-Eighties-Band, deren Mitglieder sich z.
T. bereits entleibt haben) oder Marvin Gaye oder Superpunk, und wer jetzt von meiner Playlist auf meinen Charakter schließen
will, dem kann ich nur viel Spaß beim Raten wünschen, denn mein Musikgeschmack ist so vogelwild,dass selbst das Adjektiv »eklektizistisch« zu sehr einschränkt.
Es ist aber nicht nur der Anblick. Nein, ein paar Kilometer vorher glaubt man schon, die Meerluft zu erschnuppern, etwas Feuchtes,
Salziges zu erahnen, mitunter auch eine Note muffig-faulig, in
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