Die kleinen Freuden des Lebens
den Wirt einer nahen
Bar, den es auch schon um dieseZeit hierher verschlägt. Er trinkt schwarzen Kaffee und sieht furchtbar aus, seine Gesichtsfurchen werfen Schatten wie Canyons.
Er ist gerade mal so alt wie ich, und irgendwie macht er mir Angst. Sehe ich auch schon so zerknittert aus? Ich frage mich,
ob er das Gleiche denkt, wenn er mich sieht. Und dann gibt es einen weiteren Stammgast, einen brandgefährlichen Bauarbeiter,
von dem noch zu sprechen sein wird.
Was die Bäckerin betrifft, verhält es sich wie in dem Lied der Band »Die Ärzte« über die Traumfrau aus dem Supermarkt: »Manchmal
bescheißt sie mit dem Wechselgeld – sie ist das Mädchen von Kasse 4«. Liebe macht blind, und selbst ein harmloser Flirt lässt
die Welt schnell ganz rosa werden. Und das Wechselgeld zähle ich sowieso nie nach. Mein Flirt ist keine Bäckerin, sondern
eine Verkaufshilfe, aber Bäckerin klingt einfach besser, deswegen bleibe ich für dieses Kapitel dabei. Sie ist klein, zierlich
und blond, und ihre Haare trägt sie zum Pferdeschwanz gebunden. Manchmal ist sie auch braun, ich weiß nicht, was ihre echte
Haarfarbe ist, denn so intim sind wir noch nicht geworden. Und werden es natürlich auch nie. Wenn ich zeitig ins Büro muss
und zum Frühstücken gleich im Café bleibe, zahle ich für zwei Semmeln mit Aufstrich, ein Ei und einen zum Gotterbarmen schlechten
Cappuccino 8 Euro, manchmal 9,30 Euro (das ist München). Mir doch egal: Die Bäckerin lächelt. Sie kommt übrigens aus Budapest, und einmal sagte ich ihr, ich
hielte Budapest für die schönste Stadt der Welt, was ich sogar ernst meinte, und seitdem lächelt sie extrasüß. Wenn der Tag
so beginnt, dann geht man beschwingt aus dem Laden und mit breiter Brust ins Büro.
Was nun den brandgefährlichen Bauarbeiter betrifft: Er ist ein großer, grober Typ, der jeden Morgen da ist und einen Riesenbecher
Kaffee trinkt. Irgendwie spürt er die Nicht-Beziehung zwischen mir und der ungarischen Bäckerin (von wegen, Männer seien nicht
einfühlsam)– und scheint eifersüchtig zu sein. So wie er aussieht, holt er irgendwann seinen Zimmermannshammer heraus, um
mir klarzumachen, dass hier sein Revier ist. Jedenfalls grummelt er immer missmutig, wenn ich an ihm vorbeigehe. Ich verstehe
kein Wort, es muss tiefstes Bayerisch sein. Vielleicht begrüßt er mich ja auch nur freundlich, bei diesem Dialekt kapiert
man das nie so genau.
Natürlich weiß ich nicht einmal, wie die Bäckerin heißt, und so, wie die Dinge stehen, werde ich es auch nie erfahren. Aber
der Tag bei ihr beginnt stets gut. Und so eine klitzekleine Gute-Laune-Garantie ist ein echtes Glück.
Zu einer Party pünktlich zu spät kommen
N icht so einfach. Es vergeht eine lange Zeit, bis man es endlich gelernt hat. Wichtig: knapp vor dem Essen kommen und knapp
nach dem billigen Prosecco.
Dinge neu ordnen
E s geht nicht darum, sich am perfekten Ordnungssystem zu berauschen. Es geht um den Prozess des Einordnens selbst, der eine
Reise in die Welt der Erinnerungen ist – und weil es sich um eine geschätzte Sammlung handelt, handelt es sich doch zumeist
auch um positive oder zumindest inzwischen anständig verklärte Erinnerungen. Hier die Platte, die ich mir aus London mitbrachte,
hier die Platte zum ersten Liebeskummer, hier meine Melodie des Sommers 1997, und hier die Platte, die ich mir, ups, vor zehn
Jahren von Rainer ausgeliehen habe. Na, geschieht ihm ganz recht.
Es gibt diese anrührende Szene in ›High Fidelity‹: Rob (John Cusack), von seiner Freundin Laura verlassen, sitzt mit seiner
riesigen Vinylplattensammlung daheim auf dem Boden und ordnet seine Platten neu. »Ich tue das immer, wenn ich aufgewühlt oder
verwirrt bin. Als Laura noch hier war, hatte ich sie in alphabetischer Reihenfolge, und davor chronologisch. Heute Abend aber
ordne ich sie in der Reihenfolge ein, wie ich sie gekauft habe.« Gern würde ich mal meinem Freund Tim beim Ordnen seiner völlig
grotesken 11 000-CDs-Sammlung zusehen. Er hat sie alphabetisch aufgereiht, obwohl dieses Systemunter Ordnungsfanatikern ein wenig verpönt ist (ich weiß auch nicht warum), und läuft beständig Gefahr, von den sich durchbiegenden
Regalsystemen, die in seiner Winzwohnung rund ums Bett stehen, erschlagen zu werden. Ich weiß nicht, ob es ein tröstlicher
Gedanke wäre, im Falle eines Falles ausschließlich vom Buchstaben C (Clash, Cure, Coldplay) umgebracht zu werden.
Dinge
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