Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
kamen nicht in den Schlag zurück. Ich habe eine Stunde umsonst gewartet. Und heute ist er nach Rom gefahren. Sie ein anderes Mal zu erwischen ist unmöglich, denn auch ich will weg, nach Mailand, am Samstag, und weiß Gott, wann ich zurückkomme.
Sofort nach dieser bizarren Episode, noch am 20. Januar 1909, hat GP den Zug nach Rom bestiegen. Immerhin glaubt er, sich keine Sorgen um Doria machen zu müssen. Mit Elvira abgemacht ist, daß er nach Rom, sie nach Mailand fährt. Das Mädchen soll endlich in Ruhe gelasssen werden.
An Caselli (ausgerechnet!) schreibt GP aus Rom
am 22. Januar 1909 :
Es hat eine Art Versöhnung stattgefunden, und ich sagte, ich würde das Vergangene vergangen sein lassen. Dies wurde akzeptiert, und nach so langer Zeit verlief der Tag endlich wieder einmal leidlich. Am nächsten Abend ging ich wie gewöhnlich nach dem Essen aus – ich schwöre, daß ich kein geheimes Treffen hatte. Ich ging zu Emilio, dann unterhielt ich mich eine Weile mit einem Jäger, nach einer halben Stunde kam ich zurück, aber Elvira war nicht da. Ich suchte sie überall, doch sie war nirgends zu finden. So stellte ich mich in die Nähe der Tür, im Dunkeln, um auf sie zu warten. Bald darauf hörte ich schnelle Schritte, und ich sah Elvira vor mir, in meinen Kleidern! Sie war fort gewesen, um mir nachzuspionieren. Ich war darüber aufgebracht und angewidert … Ich sagte gar nichts und fuhr am nächsten Tag niedergedrückt nach Rom. Kaum war ich hier angekommen, erhielt ich (wieder) einen Brief von einem der Brüder Dorias mit ernstzunehmenden Drohungen – unter anderem sagte er, er wisse, daß Elvira behauptet habe, ich träfe mich mit seiner Schwester abends um acht Uhr draußen im Dunklen. Kannst Du Dir so etwas vorstellen? Was soll ich jetzt tun? Ich habe an Elvira geschrieben und erwarte sie hier. O mein Gott, es ist einfach zu viel! Nachdem sie mir versprochen hat, nicht mehr zu spionieren, macht sie weiterhin solche Dinge … Es muß einfach etwas Tragisches oder zumindest sehr Unangenehmes geschehen.
Im Zug erst fällt Puccini ein, daß er sich von Doria nicht verabschiedet hat. Egal, denkt er sich, besser, man verhält sich normal , unauffällig, gibt keinerlei Spekulationen Nahrung. Der Rom-Aufenthalt soll zudem nur einige Tage umfassen.
Elvira jedoch täuscht ihre Abreise nur vor, bleibt drei Tage länger in Torre. Und fährt nach Mailand erst am Tag der Katastrophe, am 23. Januar, um elf Uhr morgens.
Zwei Stunden zuvor, um neun Uhr morgens, paßt sie Dorias Cousine Giulia auf der Straße ab und wirft ihr vor, Giacomo und Doria als Kupplerin zu dienen. Was Giulia, mit dem ihr eigenen Selbstbewußtsein, strikt von sich weist und schwört, daß sie dem Sor Giacomo nicht als Kupplerin diene. Herantretenden Passanten gegenüber (fast ausnahmslos Mitglieder der Manfredi-Familie) behauptet Elvira, Giacomo habe ihr endlich alles gestanden. Als man auf ihren Bluff nicht hereinfällt, gibt Elvira zu, Giacomo habe zwar nicht alles gestanden, aber, so ihre krude Logik, alle Leute würden darüber reden, so wahr sei es. Mit diesen Worten besteigt sie die Kutsche nach Viareggio zum Zug nach Mailand.
Doria, die sich von Gott und der Welt, insbesondere aber von Giacomo verlassen glaubt, ist die ihr zugewiesene, allzu passive Rolle in diesem Drama endgültig leid und sieht nur einen einzigen Ausweg.
Noch am selben Tag, gegen zehn Uhr morgens, betritt sie die Dorfapotheke. Der Apotheker erinnert sich später des kurzen Gesprächs und auch daran, Doria beim Kauf beraten und auf die Gefahr gewissenhaft hingewiesen zu haben.
Haben Sie Sublimat?
Hab ich, klar.
Was ist das genau?
Ein Desinfektionsmittel.
Das reinigt?
Ja, das reinigt.
Es ist giftig, nicht?
Ja nun, meint der Apotheker, schlucken sollte man es wohl nicht.
Doria geht nach Hause, hört Grammophonmusik, natürlich solche des Maestro (sicherlich auch eine Aufnahme des Butterfly -Finales – » Con onor muore …«, vermutlich in der Columbia-Pressung 1907, gesungen von Renée Vivienne), schluckt, Giacomos Porträtphoto im Blick, um elf Uhr das Sublimat, drei rosafarbene Tabletten.
Ihre beiden Neffen, die 1924 und 1926 geborenen Söhne der jüngeren Schwester Vittoria, werden später, 1998, behaupten, sie habe sich gewiß nicht umbringen, nur einen Hilferuf senden wollen und habe die Wirkung der Tabletten, die ihre Eingeweide verätzten, bedauerlicherweise unterschätzt. Die aufgerissene Packung sei in der Familie seit Generationen wie eine
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