Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
verstehen, besänftigen und, ohne daß die es gleich bemerken, lenken kann, merkt Giacomo, daß die elegante Städterin leider nicht die geringste Vorstellung besitzt, womit er es hier zu tun hat. Noch drastischer will er sein oder Dorias Leiden aber nicht beschreiben, Sybil würde das vielleicht als Illoyalität gegenüber Elvira begreifen und abstoßend finden. Zudem muß er bedenken, daß seine Briefe Wertgegenstände darstellen, die ihn überleben werden, und er gibt nicht gern Privates preis, solange es ihm nicht zum Ruhm gereicht. Sybil kennt Elvira so ja auch gar nicht, geht von hochentwickelten Regeln der Zivilisation aus, kann sich nicht ausmalen, in welche Kreatur die Eifersucht Elvira verwandelt. Nachts steht jene manchmal auf, öffnet die Tür zu Puccinis Zimmer im oberen Stock und leuchtet hinein, ob er auch im Bett liegt – und das ist noch verhältnismäßig harmlos. Wenn er morgens aufsteht, findet er seine Kleidung durchwühlt, ebenso seine Korrespondenz, sogar die geschäftliche. Sie intrigiert seine Freunde, horcht sie aus, und wer sich mit ihr über Puccinis Privatangelegenheiten nicht austauschen will, den nennt sie einen Verschwörer, gar einen Kuppler, verbietet demjenigen das Haus, in dem sie nun die strenge und ungeteilte Herrschaft führt. Manchmal sperrt sie nachts das Schlafzimmer zu, und der gedemütigte Giacomo muß am Morgen klopfen, bis ihm geöffnet wird. Wenn sie durchdreht, greift sie zum Regenschirm, ihrer bevorzugten Waffe. Am schlimmsten aber ist ihre Stimme, diese grelle, metallisch krächzende Stimme, die, einer Maschine gleich, einmal angeworfen, nicht endet, bevor ihr die Energie ausgeht oder die Stimmbänder versagen (letzteres geschieht nur äußerst selten). Daß sie alles, was sie zu sagen hat, etwa dreihundertmal wiederholt, fällt ihr selbst gar nicht auf, sie keift es jedesmal wie eine große Neuigkeit hinaus. Und es bedarf schon eines so gewichtigen Anlasses wie der Sterbenskrankheit ihrer Mutter, daß sie jetzt, und seis auch nur für ein paar Tage, ihren Posten, ihre Bastion aufgibt. Wie sie aussieht! Finster, verhärmt, verbittert, schwarz um die Augen, bleistiftschmale Lippen, ungepflegte Haare. Man könnte jemandem erzählen, daß sie eine hübsche Frau gewesen sei, gar nicht lange her. Derjenige würde aus Höflichkeit antworten: Gewiß. Und betreten das Thema wechseln.
Puccini verbringt seinen fünfzigsten Geburtstag (am 22. Dezember) ohne offizielles Dekor, ohne Verwandte, nur mit ein paar Kumpanen. Er versucht diesen verhaßten Geburtstag eher zu vergessen als zu feiern. Jagt ansonsten viel. Trifft sich mit Doria, natürlich. Und nicht nur ein-, zweimal, wie er gegenüber Sybil behauptet.
Er findet Dorias Anblick nicht nur zum Weinen, er findet sie plötzlich sogar, wenn er darüber nachdenkt, einigermaßen reizvoll, ihr Gesicht ist um vieles schmaler geworden, als auf dem einzigen erhaltenen Porträtfoto zu sehen ist. Sein Mitgefühl, sein Beschützerinstinkt äußert sich immer auch in einer erotischen Komponente. Sobald ihm das bewußt wird, fährt er sein Engagement zurück, erschrickt, bekommt Angst vor sich selbst, hält sich strikt unter Kontrolle. Schon wegen der nicht ganz uneifersüchtigen Giulia, die begreiflicherweise darauf besteht, seine einzige Geliebte in Torre zu sein.
Doria hustet viel, vermeidet das leidige Thema, schämt sich, es anzusprechen, redet unverfänglich.
Heute haben Sie aber wieder viele Enten erschossen. Wer soll die alle essen?
Fragen die Enten, wenn sie brüten, wer das alles essen soll? Du trägst dein Haar ja offen. Hast du einen Geliebten?
Was Sie immer denken. Nein!
Solltest du. In deinem Alter. Wenn die Liebe Religion ist. Ich beneide dich um dein Alter!
In meinem Alter hatten Sie noch kaum was Bedeutendes komponiert.
Stimmt auch. Es ist ein Kreuz, daß dieses elende Leben so viele Jahre benötigt, um aus uns irgend etwas Bemerkenswertes zu machen.
Müssen Menschen unbedingt bemerkenswert sein?
Ich weiß nicht. Man müßte sie zwingen, es wenigstens zu versuchen.
Wird die neue Oper in Amerika uraufgeführt?
Ja. Wahrscheinlich.
Da werde ich nicht kommen können zur Premiere.
Schade. Tut mir leid. Da läßt sich wohl nichts machen.
Ich wollte, Elvira hätte wenigstens recht mit dem, was sie über uns sagt .
Dieser wenn auch unbeabsichtigt lasziv klingende Satz aus ihrem Mund erschüttert ihn nachhaltig, dergleichen ist er von Doria nicht gewohnt. Er hört eine Aufforderung zur Tatsachenvollendung und
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