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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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gleichsam einen Vorwurf heraus, daß er sie als Frau – meint: als Sexobjekt – nie wahrgenommen hat. Und dieser Vorwurf, ihm gemacht, ausgerechnet ihm, klingt schon aufgrund seiner Unwahrscheinlichkeit erschütternd. Die darin auch geäußerte Liebeserklärung überhört er geflissentlich. Gäbe es Giulia nicht, dann vielleicht – so aber will er die Lage nicht noch verschlimmern und agiert in Gegenwart Dorias stets, als würden sie ständig beobachtet. Nicht einmal die Hand will er ihr geben, damit keine Mißverständnisse entstehen, falls jemand die beiden plötzlich überrascht.
    Er läßt Doria zu Weihnachten das alte Grammophon bringen (nicht das von Edison, das hat er zu Neujahr 1904 an Ramelde verschenkt), dazu ein paar Platten, damit sie es in ihrer winzigen Kammer nicht so still hat.
    Doria, die keineswegs plant, Giacomo zu verführen, die nur nach Signalen, Symptomen des Mitgefühls hascht, bemerkt seine seelische Zurückhaltung. Bald beginnt sie zu glauben, sie sei ihm im Grunde nichts als lästig.
    Erstmals denkt sie an Selbstmord. Noch nicht deswegen, weil sie die Feindseligkeiten nicht ertragen könnte. Mehr, um ihrem Giacomo mit der Selbstopferung einen Gefallen zu tun, einen großen, gewaltigen Liebesdienst. Schließlich wäre ihr Tod die einzige gangbare Möglichkeit, der Welt ihre Unschuld zu beweisen. An ihrer Leiche (und nur an ihrer Leiche, nicht etwa am lebendigen Körper, das wäre zu peinlich) könnte die virginale Intaktheit nachgewiesen werden. Der Maestro stünde strahlend da, von jedem Verdacht gereinigt. Nebenbei, kein geringer Aspekt, wäre es auch der einzige Weg, Elvira, die verhaßte Tyrannin, als Lügnerin zu entlarven, gewissermaßen in Blut zu tauchen.
    Am 26. Dezember kehrt Elvira aus Lucca zurück. Die zwischenzeitliche Distanz hat sie keineswegs ruhiger werden lassen, im Gegenteil. In ihrer Phantasie hat sie sich ausgemalt, wie Giacomo und Doria fünf Nächte lang die Puppen tanzen lassen.
    Elviras Unbeherrschtheit wird immer bedrohlicher. Wo sie Doria trifft, giftet sie sie an, inzwischen skrupellos und lautstark. Ihre zuvor so gerade eben noch in zeitgenössischen Lexika aufzufindenden Schimpfwörter tauscht sie nun gegen solche ein, die zu jener Zeit höchstens an Klo- und Bordellwände gekritzelt worden wären. In den Fokus ihres Zorns gerät sogar Sybil, wie überhaupt jedes weibliche Wesen, mit dem Giacomo je näher zu tun gehabt hat.
    Elvira schreibt der Engländerin im ihr typischen, nicht leicht durchschaubaren Geflecht grammatischer Bezüge, daß sie (Sybil) bloß nichts von dem glauben solle, was er (Giacomo) ihr erzähle, es seien alles Lügen, so wie sie (Elvira) seinen Lügen nie geglaubt habe, und sie (Sybil) wisse am besten, daß es Lügen gewesen seien, was er, früher zumindest, sie (Sybil) und ihn betreffend, behauptet habe. ( Anm.: Nämlich, daß das Verhältnis zwischen Giacomo und Sybil von Beginn an platonisch war .)
    Wiederum sind es die Leonardi, die Elvira einreden, da müsse doch wohl mehr gewesen sein. Und sei es vielleicht immer noch. Fosca und Toto, den aus der Villa Verbannten, scheint inzwischen jedes Mittel recht, Rache zu üben. Selbst Sybils zweitgeborener Sohn, Vincent, der dreißig Jahre später gnädig einen Mantel der Freundschaft über jene Zeit ausbreiten und die Korrespondenz seiner Mutter mit Puccini nur sehr verstümmelt veröffentlichen wird, erwähnt, daß es eine Zeit der Irritationen gegeben habe, in der gewisse übelwollende Menschen das an sich herzliche Verhältnis zwischen Elvira und Sybil zu vergiften suchten.
     
    1909
    GP sieht sich Anfang Januar veranlaßt, Sybil einen Brief zu schreiben, in dem er ausdrücklich bedauert, daß »Elvira unsere Freundschaft falsch gedeutet hat«. Jene Zeile ist der einzige schriftliche Beleg für Elviras Eifersucht auf die Engländerin. Wie sehr muß sich Elvira der Touristin Sybil gegenüber in den Jahren zuvor zusammengenommen haben.
    Von Zusammennehmen kann jetzt keine Rede mehr sein.
    Am 1. Januar 1909, quasi als Neujahrsgruß, wird Doria von Elvira beinahe geohrfeigt, vor etlichen Zeugen, auf der Straße. Nur eine schnelle Flucht verhindert die Vollendung der physischen Attacke.
    Offenbar wahr (so unglaublich es klingt) ist, daß Elvira in Giacomos Kaffee, wann immer er in der Villa Besuch von einer leidlich gut aussehenden Frau bekam, triebdämpfende Bromlösung geträufelt hat.
    Daß sie die Innenseiten von Giacomos Kleidern mit Kampferpaste beschmiert haben soll, deren

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