Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Ich möchte ihm gern antworten, aber jetzt, mit meinen Zahnschmerzen, kann ich nicht richtig denken. Könnte ich nur mit ihm sprechen! Aus seinem Brief leuchtet aber, wie die Sonne, seine große Zuneigung für mich, und das hat mich sehr getröstet – Du weißt, wie sehr ich unter seinem Schweigen gelitten habe! Es war ein wirkliches Kreuz! Wenn ich nur mit ihm sprechen könnte – ich kann so schlecht etwas widerlegen – besonders brieflich. Er ist doch ein Mann von Welt, und gewisse Meinungen, die er mit solcher Bestimmtheit ausgesprochen hat, würde er wohl ändern, wenn ich mit ihm sprechen könnte. Solche Meinungen schaden sehr, wenn sie nicht wirklich bewiesen oder durch Zeugen erhärtet werden können, und lassen die Seele ratlos oder störrisch werden. Ich wollte, ich könnte das schreiben, was mir die Seele diktiert zu einem Thema, von dem nicht einmal Du etwas hören willst. – Ach! Was mich wirklich traurig macht, ist, daß ich hier allein bin mit meinen Gedanken, ohne einen Menschen, dem ich all das sagen kann, was mir auf der Seele liegt! (…)
Ricordis Vorwürfe, es handle sich bei Corinna um eine liederliche, vulgäre Person mit Hureninstinkten, lassen GP nicht völlig unbeeindruckt. Vielleicht sollte man sie, denkt er jetzt, doch observieren lassen, und sei es nur, um die Welt und speziell Sor Giulio von ihrer Lauterkeit und Unschuld zu überzeugen. Warum nicht? Giacomo schreibt an Pieri, er möge ihm doch bitte einen Freundschaftsdienst erweisen, sich nach Turin begeben und dort nach geeigneten Leuten suchen, die zuverlässig und verschwiegen seien, möglichst preiswert dazu.
Pieri verspricht, alles Nötige in die Wege zu leiten. Illica erfährt von Pieri alle Neuigkeiten praktisch schon nach dem einen Tag, den die Post zur Zustellung eines Briefes benötigt. Elvira und Ricordi hinken dem neuesten Informationsstand demnach nur zwei Tage hinterher. Giacomo ahnt von alldem und täuscht vor, der Geliebten endgültig überdrüssig geworden zu sein. Was sich wie ein Lauffeuer verbreitet.
Brief von Illica an Elvira, ca. Mitte 1903 :
Liebste Signora Elvira
(…) Ich habe keine Angst mehr!
Aus meiner Sicht existiert die Piemontese nicht länger, und wenn Giacomo weitermacht, dann allein aufgrund einer »Hommage an die Langeweile«!
Es ist auf jeden Fall besser abzuwarten. Signor Giulio ist bereit. (…)
Puccini kann sich inzwischen einigermaßen behende auf Krücken fortbewegen, ist nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen. Er könnte nach Turin fahren, wenn er wollte. Aber er zögert.
Statt dessen, Anfang August, um der größten Hitze zu entgehen, nimmt er ein Zimmer im Hotel Bellini, Abetone, in den Bergen, in 1300 Metern Höhe. Ihn erreichen dort, ohne lästige Zwischenadressaten, weitere Briefe Coris, die darum bittet, ihn vor Ort besuchen zu dürfen. Er schlägt ihr das ab, mit dem Hinweis, jede Sekunde seiner Zeit für die Komposition der Butterfly zu benötigen. Cori fügt sich und schreibt weiterhin charmant, leidenschaftlich – und traurig. Giacomo durchlebt eine Zerreißprobe, die ihn schwer mitnimmt. Es ist klar, daß er endlich über seine Zukunft entscheiden muß. Pieri meldet ihm, daß er seinen Sommerurlaub benutzt, sich in Turin umzutun, daß er geeignete Detektive gefunden habe, ein Ehepaar, das fortan für ihn, Pieri, arbeite und keine Ahnung habe, wer der eigentliche Auftraggeber sei. Auch meldet er bereits erste, wenn auch noch vage Ergebnisse, die dem zweifelhaften Ruf Corinnas in der Nachbarschaft gelten.
Cori ist Ende April schon nach Turin zurückgekehrt, in die gleich neben dem Bahnhof liegende Wohnung in der Via Gioberti, die GP ihr vor Jahren besorgt – geschenkt – hat, damit sie, die damals Siebzehnjährige, vom Elternhaus unabhängig und leichter verfügbar sein würde. Sie hatte sich zuletzt in Mailand einsam und verlassen gefühlt. Außerdem ist ihre Schwester Domenica krank. Und einen jungen Mann, der ihr gefällt, gibt es dort auch, einen gewissen Guido, Sohn eines Barbiers, der ihr den Hof macht. Und ziemlich amüsant ist.
Sie kehrt zu ihrer alten Näherinnen-Clique zurück. Geht fast jeden Abend aus. Beginnt zu erkennen, wieviel sie in den letzten Jahren verpaßt hat. Und wieviel sie vom Leben haben könnte, gesegnet mit einer Schönheit, die sie in kürzester Zeit gezielt einzusetzen lernt. Auf den Luxus, den sie während der letzten drei Jahre genossen hat, möchte sie nicht mehr verzichten. Jack ist selbst schuld, wenn er sich nicht um sie
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