Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
alt.
Verzeihst du mir? Er flüstert es; die Frage kostet ihn Überwindung.
Ist dir das wichtig? Spielt das irgendeine Rolle für dich?
Ja. Mir ist das wichtig. Sehr.
Eine Pause entsteht. Für beinahe zehn Minuten starren beide in den Fluß, als sähen sie unten, auf einem Schleppkahn, den großen Konjunktiv vorübertreiben, das Leben, wie es hätte verlaufen können. Dann könnte man ja noch aufspringen.
Ich muß jetzt gehen, Jack. Und ja, bitte sehr, ich verzeihe dir, was bleibt mir schon übrig? Mir unerfahrenem jungen Ding. Das bin ich doch für dich? Sag nichts. Ich bin nicht zornig, nur traurig. Mehr noch: Du tust mir leid. So leid. Du könntest frei sein, viel freier als sonst irgendein Mensch.
Cori sagt es, geht und dreht sich nicht noch einmal um. Ihre Knie zittern, aber davon bekommt Giacomo nichts mit.
Sie flaniert in Richtung der Arkaden der hell illuminierten Via Po, biegt ein ins Gewühl der abendlichen Spaziergänger. Ihr engtailliertes, fast bis zum Boden reichendes beigefarbenes Kleid wippt, ein aufreizender Anblick, dieses Wippen und Schwingen unter dem schwarzen Gürtel.
Er kann noch eine Weile ihren aschgrauen Hut erkennen, dann nichts mehr. Er stützt sich auf das Brückengeländer, stiert ins Wasser. Ein Mann auf Krücken, seiner Würde, viel schlimmer: seiner Jugend beraubt.
Warum? Warum geschieht so viel? Wozu drängt sich uns, selbst wo wir uns ganz still verhalten, immer ein Geschehen auf, so frech?
Er spuckt ins Wasser. Das Wasser spuckt nie zurück, ist gleichgültig und taub. Das ist die größte Frechheit von allen. Das Wasser schluckt einfach alles und schweigt. Es möge, was so lange gut ging, noch ein wenig weitergehen. Bitte.
Um das Jahr 1950 herum erreicht Madama Butterfly den Rang der weltweit meistgespielten Oper.
Cori, »La Corinna« – alias Maria Anna Coriasco (geb. 18.9.1882 in Turin) – und Giacomo Puccini pflegten nie wieder Kontakt. Maria Anna wurde von GP vor Freunden – aus Scham über ihre niede-re Herkunft – als angehende Grundschullehrerin ausgegeben. Vielleicht hatte sie auch vor, die dazu nötige Ausbildung zu machen. Und hat es nie getan. Tatsächlich war sie eine Näherin – eine Grisette par excellence. Ihr Spitzname Corinna entstand als eine für Puccini typische anagrammatische Spielerei aus den ersten vier Buchstaben ihres Nach- und den letzten drei ihres zweiten Vornamens. Ihre Familie stammte ursprünglich aus Saluzzo. 1906 heiratete Maria Anna jenen Zollbeamten, Pancrazio Savarino, der im Prozeß gegen ihren Vater als Leumundszeuge zu dessen Gunsten ausgesagt hatte. Sie bekam (1913 und 1917) zwei Söhne und starb, nach einem ruhigen, fortan unspektakulären Leben, in Turin am 8.12.1961. Pancrazio folgte ihr nur fünf Wochen später ins Grab.
Zweites Buch: Sybil
1
Im Oktober 1904 verbringt Puccini zwei Wochen in London, wo am 19. seine Tosca gegeben wird. Es ist eine der wenigen großen Städte, die er gut leiden kann. Sein Freund Paolo Tosti, der Komponist seinerzeit beliebter Kunstlieder im sentimentalen Stil, lädt am Abend von Puccinis Abreise zu einem kleinen Cocktailempfang in sein Haus am Manderly Place. Eingeladen wurden nicht mehr als dreißig erlesene Gäste, hergefunden haben fast dreimal so viele. Es ist eng, stickig, es wird bald auch außerhalb des Herrenzimmers geraucht, sogar von vereinzelten jungen Damen, die sich kühn und fortschrittlich geben wollen. Schließlich greift auch Elvira (ansonsten tut sie es nur heimlich oder bei sich zu Hause) in der Öffentlichkeit zur Zigarette, angestiftet von der schon dreißigjährigen, doch sehr viel jünger wirkenden, noch unverheirateten Violet Beddington, einer von Tostis Schülerinnen. Der Vorrat an Champagner und anderen gekühlten Getränken geht zur Neige, man beginnt bereits, sich mit Sherry, Brandy und Härterem zu behelfen.
Es ist ein kleines Fest im Glanz der Belle Époque. Die Möbel im Haus Tosti sind sämtlich weiß oder in mattem Rosa gehalten, die holzgetäfelten Wände zieren Morris-Tapeten. Sogar Tostis Klavier (der Flügel, an dem er komponiert und unterrichtet, den niemand benutzen darf als er selbst, steht einen Stock tiefer, im verschlossenen Atelier) strahlt von weißem Lack. Manche der Gäste stellen ihre Talente (in den meisten Fällen eher ihre gutbürgerliche Erziehung) zur Schau, singen, von sich selbst an jenem Klavier begleitet, dies und jenes, englische Volkslieder, Meyerbeer, Schubert und Schumann, bis hin sogar zu leicht frivolen Shantys – daneben
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