Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
vielleicht will er auch nur allzu leidenschaftliche Erinnerungen an Cori vermeiden.
Hinter ihm liegt das bislang schlimmste Jahr seiner Karriere, und er weiß, daß es für die Butterfly nur noch eine einzige Chance der Wiederauferstehung geben kann. Im Fall eines erneuten Mißerfolgs wird die Oper – zumindest für etliche Jahre – tot sein.
Bemerkenswerterweise zeigt sich niemand, weder Freunde, Mitarbeiter oder Verwandte, darüber erstaunt, daß ausgerechnet Turin für die große Revanche in Erwägung gezogen wird, die Stadt der Corinna-Affäre, der Ausgangspunkt für soviel eben erst ausgestandenen Ärger. Immerhin war Turin auch der erfolgreiche Uraufführungsort der Manon Lescaut und der Bohème gewesen. Es hat den Anschein, als sei für alle nur indirekt Beteiligten jenes Mädchen, jene leidige Episode, endgültig ad acta gelegt, jedenfalls erhebt nicht einmal Elvira Einwände gegen die Reise, obwohl diese am Jahrestag des Unglücks stattfindet und somit eine Art obsessiv-spirituellen Aspekt gewinnt. Vor einem Jahr um diese Zeit war sein Leben noch voller Glanz, ganz ohne Tragik gewesen. Wie könnte ein Mensch wie Giacomo daran nicht in Wehmut zurückdenken?
Er ist im üblichen Maß der Zeit empfänglich für Symbole, Omen, Kalendermagie und scheinbare Kohärenzen. Selbst wenn er nicht vorhat, Cori zu treffen, in Kauf nimmt er es zweifellos. Und läßt ihr über den Fotografen Bertieri sogar einen Hinweis zukommen, wo er anzutreffen sei. Cori muß den Hinweis als Notruf verstehen oder wenigstens als Bitte, sich abseits der finanziellen Übereinkünfte auch menschlich zu versöhnen. Giacomo verhält sich, als ob er sein künstlerisches Unglück in persönlicher Schuld verwurzelt sähe, als habe ihn ein Fluch getroffen, über den er nun nachverhandeln möchte. Vielleicht hat Elvira dafür sogar Verständnis und akzeptiert es stillschweigend. Trotz aller Eifersucht ist ihr angesichts des drohenden Karriereknicks des Gatten ein solches Verhalten zuzutrauen.
Und wirklich trifft Giacomo, als er abends die Hotellobby verläßt und die Ponte Vittorio Emanuele betritt, den bekannten Treffpunkt verliebter Pärchen, scheinbar höchst zufällig auf eine über das Geländer lehnende Cori. Beide sehen einander kaum an, starren in den Fluß und finden lange kein passendes Wort der Begrüßung. Man kann so tun, als beobachte man Fledermäuse.
Es tut mir sehr leid, stammelt Giacomo schließlich, wie alles gekommen ist.
Danke. Die Krücken stehen dir nicht. Lassen dich alt aussehen.
Ich sehe leider nicht nur so aus. Geht es dir gut?
Mir nicht und dir nicht. Hör auf! Ich hätte das Geld nicht angenommen, wenn es dein Budget überstiegen hätte. Aber ich brauche es jetzt. Und du hast weiß Gott genug davon. Ich mußte den Anwalt bezahlen. Und ein paar andere Leute, die sonst reden würden.
Ich habe genug davon, stimmt. Denkt er und schweigt.
Es anzunehmen macht mich zu einer Hure. Die Hure, als die du mich beschimpft hast. Aber etwas anderes kann ich von dir nicht bekommen. Leider. Das nehm ich dir übel. Hättest du mir einen Brief geschrieben, nur einen , der unserer Liebe würdig gewesen wäre, Jack! Statt dessen glaubt sich dein Verleger auch noch im Recht, mit alldem Schmutz, den er über mir ausgeschüttet hat. Das tut weh, sehr weh, und es ist nur zu ertragen, indem ich verschwinde. Ich hätte dir nie glauben dürfen. Es ist viel verlangt zu verschwinden. So einfach zu verschwinden, für alle Zukunft …
Sie sieht ihn jetzt an, sieht ihm direkt in die Augen, mit einem bitteren Lächeln. Er schweigt. Leidet.
Ich hatte viel Zeit nachzudenken, Jack. Im nachhinein scheint alles so folgerichtig, als wäre es anders niemals möglich gewesen. Täusche ich mich?
Giacomo weiß nicht, was er antworten soll. Hat sie recht?
Rede mit mir! Hättest du mich geheiratet, wenn das Unglück nicht passiert wäre? Ich möchte eine ehrliche Antwort. Nur dieses eine Mal.
Ich glaube schon.
Sicher bist du dir nicht?
Nein. Beinahe. Einigermaßen. Ich weiß es nicht.
Danke. Damit kann ich leben. Irgendwie. Es ist, als könnte ich den Schatten eines zweiten Lebens führen, so wie im Traum. Und immer werde ich mich fragen, wie das jetzt wäre, mit uns beiden. Bis ich sterbe. Hoffentlich demnächst.
Giacomo registriert, wie alte, verlorengeglaubte Gefühle zurückkehren, von Coris heller Stimme herbeigelockt, auf der Haut zu prickeln beginnen. Nein, denkt er, ich darf mich nicht darauf einlassen. Sie hat recht, ich bin
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