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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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aber auch Puccini-Arien, was für den Ehrengast manchmal etwas bedrückend wirkt. Violet Beddington und ihre ältere Schwester Sybil, zwei der besten Gesangseleven Tostis, entscheiden sich, weniger anbiedernd, für Arietten von Mozart bzw. Donizetti. Ihre Sopranstimmen sind solche engagierter Amateure, weit davon entfernt, groß oder beglückend zu klingen, aber im gegebenen Rahmen läßt sich kaum daran mäkeln, zudem sind beide Damen attraktiv und tragen schulterfreie Kleider.
    Schließlich setzt sich Tosti, ein graubärtiger, humorvoller Neapolitaner und bewunderter Pianist, selbst vor die Tasten, trägt zwei seiner populärsten Lieder vor: ›Forever and Ever‹ und ›Addio!‹ Erntet angemessenen Applaus, den er sogleich beiseite winkt, indem er sich abrupt erhebt, das Monokel einzwickt, die lebhaften blauen Augen im Halbkreis wandern läßt und mit der rechten Handfläche erst den Lärmpegel, danach die entstandene Stille zärtlich tätschelt wie den Hinterkopf eines Kindes. Weil sein Englisch niemandem zugemutet werden kann, wendet er sich auf französisch an die Gäste.
    Mesdames et Messieurs – ich bedanke mich für den Beifall, den Sie meinen kleinen Schöpfungen zukommen lassen, die am heutigen Abend um so kleiner und dürftiger ausfallen, als ich die Ehre habe, in meinem Haus den größten lebenden Komponisten Italiens willkommen zu heißen, Maestro Giacomo Puccini aus Mailand!
    So gut wie alle Anwesenden scheinen seit Stunden auf diese oder eine ähnliche Ansprache gewartet zu haben wie auf ein erlösendes Stichwort. Das Klatschen schwillt an, mischt sich mit begeisterten Bravo!- und Vivat!-Rufen.
    Puccini nimmt es gleichgültig hin; seit Jahren ist er nichts anderes gewohnt. Fast jeden Abend dasselbe. So oft ist er aufgestanden, hat sich demütig verbeugt, bedankt. In den ersten Jahren des Ruhms war ihm dergleichen peinlich gewesen, eine kurze Zeit über verfiel er ins strikte Gegenteil, wurde fast süchtig danach, nun jedoch leidet er unter den bohrenden Blicken, dem, wie man es hier nennt, Smalltalk , sehnt sich nach Ruhe, sitzt, das kranke Bein abgespreizt, auf einem Kanapee, raucht und wirkt müde. Derlei Empfänge sind nichts für ihn. Zuviel nichtssagendes Geschwätz. Er fühlt sich gequält, herumgezeigt. Belästigt. Außerdem ist er als Pianist ja keine Sensation. Seine Körperhaltung indes wirkt auf wohlmeinende, oberflächliche Betrachter noch immer sympathisch bescheiden.
    Tosti, an einer seiner bevorzugten langen Zigarren paffend, mimt den Conferencier, streckt den rechten Arm aus, als könne der Ehrengast über jede Entfernung hin die ihm so dargereichte Hand ergreifen.
    Giacomo, cher ami, ich würde gerne Gelegenheit und Ehre haben, etwas aus deinem jüngsten Werk vorzutragen, auf das wir hier alle so gespannt sind. Würdest du mich bitte am Klavier begleiten?
    Tosti trägt seine Bitte in einem Ton vor, der nicht ernsthaft Widerspruch erwartet. Um so heftiger, geradezu skandalös, wirkt die Zurückweisung.
    Bitte, ich kann nicht. Entschuldige, Paolo.
    Stille, betroffenes Schweigen im Raum, Getuschel. Droht ein Eklat? Elvira erbleicht. Manche Gäste zischen leise.
    Der bloßgestellte, von Natur aus schon zierlich und klein gewachsene Tosti versucht, abzuwiegeln. Nun, sagt er laut, in dem leicht zynischen Tonfall, für den er bekannt ist, den Korb, den er soeben bekommen habe, werde er mit Stolz als Kopfbedeckung tragen, er habe sich diese Eselsmütze verdient, mit seinem unsensiblen Vorschlag. Der Genius sei von den vielen Terminen erschöpft, man hätte Verständnis dafür zeigen müssen … Er nennt sich ein Nashorn, weil er darauf keine Rücksicht genommen habe. Und setzt sich zum Genius aufs Kanapee, mit besorgter Miene.
    Entschuldige, Giacomo! Ich wußte nicht … ich dachte …
    Niemand weiß. Alle denken. Ich bin das Nashorn. Verzeih! Jetzt hab ich Grobian deine Soirée verdorben.
    Ach was, Unsinn! Mach dir mal keine Gedanken! Tout savoir – c’est tout pardonner!
    Berthe, Tostis Gattin, eilt herbei und nimmt, in der ihr typischen, frisch von Herzen kommenden, nie böse gemeinten Art kein Blatt vor den Mund, meint, anders als ihr großmütiger Paolo, der liebe Genius könne sich sehr wohl Gedanken machen, das sei doch keine Art, Freunde, zumal Gastgeber, so zu brüskieren. Wegen einer oder zwei Arien. Es sei schlicht déplacé. Um nicht zu sagen: altezzoso !
    Puccini schließt die Augen. Er würde auch gerne die Ohren schließen können, ohne sich etwas hineinstopfen zu müssen.

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