Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
der Hochzeit so schmerzlich vermißt hat.
Elvira posiert in einem prunkvollen Abendkleid. Giulio Ricordi kümmert sich derweil um die Prominenz. GP s namhafteste Kollegen, Mascagni und Giordano, haben sich die Ehre gegeben, winken freundlich, als der Troß der Familie Puccini das erste und ehrwürdigste Haus Italiens betritt. Tonio fragt seinen Vater, warum die beiden nicht kämen und ihm die Hand gäben.
Das werden sie nachher tun, keine Angst. Die kommen gekrochen.
Seine Paranoia sieht in den beiden Konkurrenten Feinde, die diese keineswegs sind. Besonders Mascagni, mit dem Giacomo in der Jugendzeit ein sehr freundschaftliches, fast brüderliches Verhältnis pflegte, kann sich die Reserviertheit des Kollegen nicht erklären, schreibt sie aber der üblichen Nervosität vor der Uraufführung zu und unternimmt nichts, um eine Aussprache herbeizuführen. Einer der Gründe, warum das Verhältnis der beiden vor Jahren erkaltete, war Puccinis heftige Antipathie gegen Mascagnis Gattin, die berüchtigt dafür war, ihrem Mann in aller Öffentlichkeit schreckliche Szenen zu liefern.
Man nimmt Platz. Pünktlich um viertel vor neun hebt sich der Vorhang. Ramelde, die in Begleitung ihrer Tochter Albina gekommen ist, Puccinis Lieblingsnichte, wird noch in derselben Nacht an ihren zu Hause in Pescia gebliebenen Gatten schreiben, es habe von Anfang an eine Aura der Feindseligkeit geherrscht. Der Korrespondent der Musica e Musicisti drückt sich deutlicher aus: Die Vorstellung im Zuschauerraum sei genausogut vorbereitet gewesen wie die auf der Bühne.
Tatsächlich jedoch – entgegen den meist allzu dramatischen Überlieferungen – läßt der erste Akt noch hoffen. Es gibt im Publikum zwar vereinzelt Gelächter und spöttische Zwischenrufe, daneben immerhin Applaus, wenn auch schwachen, für die Arien. Am Ende wird Puccini zweimal auf die Bühne gerufen, was ihm wegen seiner Krücken schwerfällt. Üblich wären mindestens sechs bis sieben Hervorrufungen. In der Pause kann sich Giacomo einreden, das Publikum habe Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand genommen. Mascagni und Giordano vergnügen sich an der Bar, heben ihre Gläser auf Puccini. Die Komponisten begrüßen einander nun, allem Anschein nach mit Respekt, die üblichen Komplimente werden getauscht. Der Schlachtenbummler Alfredo Caselli ist während der Pause auf der Post und schickt an seinen Bruder Carlo in Lucca ein Telegramm: 17.02.1904. – 22:10 – Terminato primo atto religiosamente ascoltato stile talmente nuovo sorprendente ritardando giudizi fine atto tre chiamate due autore teatro imponente lievissime contestazioni . (Erster akt beendet andachtsvoll gelauscht stil dermaßen neu überraschend warte mit urteil bis ende akt drei. zwei hervorrufungen autor und theater beeindruckend ganz geringfügige proteste.)
Schlangenbrut , murmelt Puccini, zurück in seiner Loge.
Erst nach der Pause beginnt das Debakel.
Für Un bel di vedremo und das Blumenduett gibt es noch lauen Beifall, danach wird die Aufführung durch Miauen, Grunzen und Gekicher gestört. Als sich der Kimono der Storchio etwas bläht, schreit jemand: Sie ist schwanger! Von Toscanini! Und das Publikum, das von der Liaison zwischen den beiden weiß, bricht in johlendes Gelächter aus. Puccini sitzt in seiner Loge, mit offenem Mund, will nicht begreifen, was vorgeht. Giulio Ricordi ahnt das Desaster und verläßt das Haus, kehrt aber bald wieder zurück, um seiner Pflicht Genüge zu tun.
Immer neue Zwischenrufe. Das ist altes Zeug! oder: Haben wir alles schon gehört! oder: Das ist aus der Bohème!
Dazwischen ertönen provokante Da-Capo-Forderungen, um die Situation noch weiter eskalieren zu lassen. Von der Musik, alles andere als altes Zeug, im Gegenteil, ist kaum etwas zu hören. Beim Summchor fangen ganze Zuschauerreihen an, übertrieben mitzusummen. Ein Gewitter aus Pfiffen, obszönen Flüchen und Gelächter ergießt sich über die Bühne. Ramelde und Albina verlassen die Loge und fliehen auf die Straße. Besonders schlimm kommt es beim Intermezzo der Nachtwache. Tito Ricordi hat an dieser Stelle, die ihm etwas langweilig vorkam, für besonders realistische Effekte gesorgt. Um die Morgendämmerung zu illustrieren, hat er ein ganzes Konzert zwitschernder Vogelstimmen aufgeboten. Das Publikum beginnt, diese Oper als ungeheuren Spaß zu betrachten, beteiligt sich mit mehr oder minder kunstvollen Lauten; jemand ahmt, eigentlich ganz witzig und gekonnt, einen aufflatternden Albatros nach,
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