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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Um das Thema zu wechseln, gratuliert er Berthe nachträglich zum fünfzigsten Geburtstag. Wobei er sich auf einmal nicht sicher ist, ob der nicht erst noch bevorsteht.
    Unter den Gästen macht sich Enttäuschung breit, alle hatten darauf gehofft, der illustre Maestro würde für sie spielen, würde ihnen einen Hauch von Exklusivität verleihen, mit der anderntags zu prahlen wäre. Einige lassen sich von den livrierten Dienern in die Mäntel helfen, verlassen das Haus, um so, deutlich zwar, doch distinguiert, gegen die Arroganz des Ehrengastes zu protestieren.
    Puccini vergräbt den Kopf in seinen Händen. Die Depression ist nicht mehr aufzuhalten.
    Plötzlich setzt sich, auf den freien Platz zu seiner Rechten, eine Dame mit spitzer Nase und hochgestecktem Haar, die, wollte man dem ersten Eindruck Ausdruck geben, ein Energiebündel voller Anmut genannt werden müsste. Er sieht sie an. Sie lächelt. Zwinkert. Augenblicklich fällt ihm eine Melodie ein, die später zum Hauptmotiv im Vorspiel seiner nächsten Oper werden wird. Ein Blitz an Melodie. Blitz und Donner zugleich. Er notiert sie sich im Kopf, schmunzelt, wie aufgewacht aus einem Traum. Dann, um lieber sicherzugehen, kritzelt er die Noten mit Bleistift auf einen Zettel.
    Sie haben ganz und gar richtig gehandelt, Maestro! Ein Unding ist das, wenn Künstler auf Gesellschaften ungefragt aufgefordert werden, etwas von sich zum Besten zu geben! Eine Zumutung! Eine Unverschämtheit!
    Sybil, das sind sehr harte Vorwürfe! meint Tosti, halb entgeistert, halb auch amüsiert.
    Puccini nickt. Zu beiden Aussagen.
    Die du verdient hast, Paolo! Schau, Dr. Fowler dort ist ein berühmter Chirurg. Würdest du auf die Idee kommen, ihn aus dem Stegreif um eine kleine Operation zu bitten? Also!
    Giacomo läßt seine Hände sinken, schiebt den Notenzettel in seine Hosentasche.
    Paolo, bitte, sag mir sofort: Wer ist dieses entzückende Wesen?
    Tosti hebt die Brauen und grinst. Wechselt von Französisch zu Italienisch. Wenn ich vorstellen darf …
    Ich heiße Sybil Seligman, sagt die elegant gekleidete Frau, kommt Tosti dreist zuvor und reicht Puccini die Hand zum Kuß. Sie muß also verheiratet sein. Er küßt. Auf ziemlich unziemliche Weise, seine Lippen berühren, für weit mehr als einen Sekundenbruchteil, ihre Finger. Auch noch hörbar! Das sei, würde er etwaigen Protesten oder sanften Hinweisen entgegenhalten, in Italien durchaus noch üblich. Dort küsse man gelegentlich sogar die Innenfläche einer Hand, würde man seiner Begeisterung Ausdruck geben wollen.
    Puccini mußte deswegen nie diskutieren, nie hat sich eine Frau deswegen beschwert. Er taxiert seine schmucke Sofamitbesetzerin auf Anfang Dreißig, das beste Alter – im Bett –, und ihre Willigkeit schätzt er, ausgehend von einer Skala von null bis zehn, relativ hoch ein, achtkommafünf etwa. Schon überlegt er, wie sie zu genießen wäre und wo. Die schwarzäugige Frau mit der fast milchweißen Haut und den krausen dunkelblonden Haaren scheint ihm ein willkommenes Geschenk der Götter für die Nacht. Ihr schlanker, mädchenhafter Hals bildet einen willkommenen Kontrast zur drallen, kurvenreichen Figur.
    Sybil ist bereits sechsunddreißig, aber mit die attraktivste Weiblichkeit, die Giacomo je erblickt zu haben glaubt, er starrt sie an, mit offenem Mund, flüstert, sehr anzüglich Donna non vidi mai – und Sybil, die mit ihrem mädchenhaften, leicht affektiert wirkenden Gebaren darauf beharrt, noch immer jung zu sein, sitzt einem fleischgewordenen Idol gegenüber, dessen Musik sie bereits vor vielen Jahren, im Elternhaus, gesungen hat. Dessen begehrlicher Blick ihr unter die Haut geht. Ein wenig zittert sie jetzt, kaschiert ihre Erregung und bemüht sich um einen spritzig-spaßhaften Ton. Sybil spricht ein schlichtes, dabei relativ korrektes Italienisch, was Giacomo so sehr für sie einnimmt, als habe er in der Fremde eine Verwandte entdeckt, eine Blume inmitten der Wüste.
    Ich kenne alle Ihre Werke, sofern sie hier erhältlich sind. Spiele beinahe jeden Tag daraus. Woher wissen Sie, daß Donna non vidi mai meine Lieblingsarie ist? Können Sie hellsehen? Übrigens: Sogar die Butterfly hab ich mir schon kommen lassen. Direkt aus Mailand!
    Ach nein, ja? Puccini bringt keinen geordneten Satz zustande.
    Tout se sait, tout se fait. Tout s’arrange. Ich glaube, euch zwei kann man alleine lassen. Meint Tosti seufzend, erhebt und verzieht sich, was unkommentiert bleibt und gar nicht recht wahrgenommen wird.
    Ja!

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