Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
besonderen Erfolg erlangt die Imitation eines brünftigen Pelikans. Rosina Storchio weint, während sie singt, bringt die Partie aber irgendwie zu Ende. Cio-Cio-Sans Selbstmord – und der brutale Schock eines vom Orchester in dreifachem Forte herausgeschrienen unaufgelösten Sextakkordes über der Tonika von h-moll – verdirbt den Leuten auch noch die gute Laune. Als der Vorhang fällt, herrscht eisiges Schweigen. Kaum eine Hand will sich zum Beifall heben. Nicht einmal den Sängern wird Respekt erwiesen. Die wenigen Zuschauer, denen das Stück gefallen hat, sind zu entsetzt und eingeschüchtert, um sich gegen die Stille aufzulehnen.
Die größte Hinrichtung in der Geschichte der italienischen Oper ist Wirklichkeit geworden. Tonio hat Tränen in den Augen. Elvira wirkt bizarr gleichgültig, weiß einfach nicht, wie sie sich in der ungewohnten Situation verhalten soll. Puccini verliert seine guten Manieren, brüllt ins Publikum: Es ist meine beste Oper! Ihr Schweine!
Auf Krücken wankt er in den Gang hinaus, ringt nach Luft und humpelt in seine Wohnung.
Mascagni und Giordano hätten, so schreibt die schlaflose Ramelde um vier Uhr nachts an ihren Mann, mopsfidel gewirkt. Über ihren Bruder sagt sie, er versuche sich tapfer einzureden, daß es doch ganz gut gelaufen sei . Noch am selben Abend ziehen der Komponist und seine Librettisten das Werk zurück. Zu Lebzeiten des Maestros wird es nie wieder an der Scala aufgeführt.
Noch während am frühen Morgen die Zeitungsjungen auf den Straßen die beispiellose Vernichtung der Oper vermelden, sitzen Giacosa, Illica, die Ricordis und Puccini zusammen. Alle reden auf den Komponisten ein, jeder will nun den Mißerfolg vorausgeahnt haben, sie erwischen Puccini in seinem schwächsten Moment, denn in der Tat hat er etliche ihrer Bedenken in den Wind geschlagen, was sich nun rächen soll. Tief verwundet, stimmt er einer Überarbeitung zu. Die folgenden, leicht verwässerten Fassungen der Butterfly werden nie mehr jene Qualität der Uraufführung erreichen.
Gut, ruft gegen sechs Uhr morgens Giacomo angetrunken und verbittert in die Runde, wir machen die Änderungen! Nicht, weil sie richtig sind, sondern weil die Welt sie partout haben will!
Natürlich, antwortet Giacosa, die Welt ist schlecht und blöd. Ist nur leider unser einziger Kunde.
Die Welt ändert sich, murmelt Giacomo. Und fällt in sein Weinglas zurück.
Illica rät dazu, in jedem Fall zu feiern. Aus purem Trotz. Immerhin werde der Abend lange in Erinnerung bleiben. Das habe Mascagni schon lange nicht mehr geschafft mit seinen Opern.
Tito sieht seine große Stunde gekommen. Er, teilt er dem Vater am nächsten Tag mit, habe begriffen, wie die Oper gerettet werden könne. Giulio Ricordi, über den Eklat immer noch entgeistert, wehrt sich nicht.
Elvira an Giacomos Schwester Otilia, 19. Februar 1904
Mailand ist die Hölle, und ich wäre längst verschwunden, wenn es nicht Egoismus wäre, Giacomo in seinem Unglück allein zu lassen. Im ersten Moment zeigte er noch Haltung. Heute ist er zu Tode betrübt und erweckt mein tiefstes Mitleid. Wie bösartig das Publikum gewesen ist! Schon vor der Aufführung haben einige gesagt, daß ein sicheres Fiasko bevorstehe.
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Am 25. Februar 1904, auf den Tag genau ein Jahr nach dem Unfall, fährt Puccini mit dem Zug nach Turin – wie er behauptet, zur Zerstreuung, und um sich dort ein neues Fiat-Automobil anzusehen. Außerdem, so lautet die wichtigste Begründung, zieht er Turin als möglichen Zweitaufführungsort der Butterfly in Betracht, er möchte die dortige Stimmung ausloten.
Seine eigene Stimmung ist katastrophal, sein Rang als meistgespielter lebender Komponist droht verlorenzugehen, ausgerechnet aufgrund seines ihm liebsten Werkes, des einzigen, an dem er nie das Interesse verlieren wird.
Das Leben, schreibt er an Illica, halte die sonderbarsten Überraschungen bereit, und wenn er auch überzeugt sei, am Ende recht zu behalten, schaudere ihm vor den Möglichkeiten, die gut organisierte Schweine zu Lebzeiten besäßen. Es seien einfach zu viele Möglichkeiten, weiß Gott. Wie viele sensible Künstler gäben angesichts dessen für immer auf und seien verloren. Bei dem Gedanken werde ihm kotzübel.
Diesmal logiert er nicht wie sonst im Hotel d’Europe , sondern im etwas billigeren Bonne Femme et Métropole . Im ersten Haus am Platz mietet er sich jeweils nur ein, wenn der Verlag es bezahlt, er ist stets sparsam, aufgrund seiner Erziehung und harten Jugend,
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