Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
schreibt Giacomo an Sybil, Wasser sei für sie, was die Erbse für die Prinzessin im Märchen sei.
Wegen dichten Nebels um einen Tag verspätet, legt die Kaiserin Auguste Victoria am 18. Januar um sechs Uhr abends im Hafen von New York an. Fast hunderttausend Menschen haben sich am Pier versammelt, und fünf konkurrierende Kapellen spielen Potpourris aus Puccini-Melodien. Den versammelten Journalisten erklärt der so Geehrte, er habe vor, eine, nein, die allererste amerikanische Oper zu schreiben und werde darüber mit Belasco reden. Das ist zu diesem Zeitpunkt zwar zu neunzig Prozent nur Geschwätz, um die hiesige Presse gewogen zu stimmen. Und doch nicht so völlig abseitig. Noch in Paris hatte ein Bekannter, der Marchese Antinori, ihn auf Belascos neue Stücke hingewiesen, The Girl of the Golden West und The Rose of the Ranchos . Puccini hatte zweideutig geantwortet, das wäre ja mal etwas ganz unerhört Neues. Aber war die Butterfly , immerhin auch nach einem Theaterstück Belascos, nicht auch etwas unerhört Neues gewesen?
Nach den Interviews hetzt er in seine Suite im zehnten Stock des Hotel Astor am Times Square und von dort in die bereits laufende Vorstellung der Manon Lescaut , erlebt einen unvergleichlichen Triumph, der in wahre Beifallsorgien mündet. Das amerikanische Publikum weiß es zu schätzen, wenn ihm ein europäischer Künstler die Ehre gibt. Der stets bescheidene Puccini, der gerne mit seiner provinziellen Herkunft kokettiert, äußert sich begeistert über New York. Autogrammanfragen bedient er bereitwillig mit den Worten Pinkertons aus der Butterfly : America forever! Der einzige englische ›Satz‹, den er fehlerfrei aussprechen kann.
An Sybil schreibt er, er habe heute die von ihr gesandte ›Medizin, die die Seele stärkt‹ ausprobiert (Kokain, dessen Konsum damals weit verbreitet war und ungeahndet blieb).
An Ramelde schreibt er, mit deutlich genossener Obszönität, wie sehr ihn die New Yorker Damenwelt aufgeilen würde. ( Wie viele Frauen! Wie viele suchen mich und wollen mich! Selbst ein Greis bekäme hier noch eine ab. Es würde genügen, den Finger zu heben. Welche ausladenden Hintern! Welches Selbstbewußtsein – und die Kleider, bei deren Anblick selbst der schiefe Turm von Pisa wieder gerade stünde! Elvira ist schon im Bett, sonst könnte ich Dir dies nicht schreiben. Sie überwacht mich ständig, aber ich entwische ihr .)
Das Lob jener selbstbewußten ›New Yorker Frauen‹ täuscht darüber hinweg, daß seine Gedanken in jenen Tagen meist einer ganz bestimmten Frau gelten, der Sängerin Lina Cavalieri, die an der Seite Carusos die Manon singt und Giacomo schon vor zwei Monaten in Paris aufgefallen war. Sie, von den Zeitungen die schönste Frau der Welt genannt, wirft sich ihm hemmungslos an die Brust. In einem Reflex fängt er sie auf. Amerika gefällt ihm immer besser. Es werden hier die ausdrucksstärksten Filmaufnahmen von ihm gemacht, leider zeigt sein Lachen dabei den fürchterlichen Zustand seines Gebisses. Aber das ist den Frauen völlig egal. Während die stark schlafbedürftige Elvira ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgeht, nämlich zehn Stunden am Stück ins Kopfkissen zu schnarchen, schleicht er sich aus dem Hotel und lebt mit Lina viel Unterdrücktes aus.
Um seinen oftmals erwähnten Geiz kann es so schlimm nicht stehen. Lina schenkt er als persönliche Erinnerung einen Ring, den ihm die eigene Mutter vererbt hat, zwar materiell nicht arg wertvoll, dennoch eine schwere Geste – und als die Cavalieri ihm dafür dankt, in einem relativ formell gehaltenen Brief, den Elvira wieder einmal abfängt, nein eigentlich nicht abfängt …
Als Giacomo von seinen Eskapaden ins Hotelzimmer zurückkehrt, wartet Elvira, bis er schläft, dann steht sie auf und durchsucht seine Kleider, alles, Taschen, Hosenaufschläge, Futter – und schließlich findet sie in seinem Hut, innen, im Hutband versteckt, einen schmalen, länglich gefalteten Zettel.
Sie ist unglaublich! Sie kann Gedanken lesen! SIE IST EIN MEDIUM! Eine Hexe! Ich schwöre! So wird Giacomo die Geschichte später einem Freund erzählen und den Stern verfluchen, unter dem er geboren wurde. Oder Elvira.
Es kommt zum Krach. Giacomo beruft sich darauf, daß der Ring wenig wert gewesen und es für einen Komponisten üblich sei, seinen Sängern eine Kleinigkeit zu schenken, sie könne jeden fragen. Das sei, erwidert Elvira, vielleicht bei Uraufführungen üblich, sonst nicht, er wolle sie doch nur für blöd
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