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Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)

Titel: Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Christus. Im nächsten Augenblick bittet er das Mädchen um Verzeihung, er sei nervös, habe es nicht so gemeint, man müsse ihn verstehen, aber niemand verstehe ihn. Illica arbeite im Schneckentempo, die Zeit, in der er zu leben verdammt sei, krieche dahin, unerträglich, er könne keine Ruhe haben, keine Ruhe genießen. Doria sieht ihn mit großen Augen an, sein emotionaler Ausbruch ist ihr unheimlich, sie kennt ihn nur als souveränen, lässig-eleganten Menschen. Andererseits begreift sie die Ehre, die ihr eben zuteil wurde: Der Maestro hat ihr sein Herz ausgeschüttet, Tränen haben ihm in den Augen gestanden. Ihr auch. Erschrocken und berührt zieht sie sich zurück.
    Giacomo tut es leid, sich so gehen gelassen zu haben, und bricht zu einer kurzen Reise nach London auf. Wie er sagt, um ›Luft zu schöpfen‹. Sybil schickt neues Elixier . Elvira besteht darauf, ihn zu begleiten; es ist ihm in seiner Verzweiflung egal.
    Tollkühn geworden, beschließt er, gleich zwei Opern zu schreiben, die Österreicherin und das Girl of the Golden West , basta. Irgend etwas muß geschehen. In ersten Zeitungsartikeln wird ihm eine Schaffenskrise nachgesagt.
    Sybil weiß um seinen Zustand und wagt deshalb nicht, offen alle Kritik an dem ›Girl‹ zu äußern, die ihr auf dem Herzen liegt. Konsterniert stellt sie fest, bisher fast nichts für ihn getan haben zu können, im Gegenteil, jetzt hängt er sogar wieder bei dem Marie-Antoinette-Stoff, den sie bei ihrer allerersten Begegnung schon als für ihn unpassend empfand. Zugleich zu wissen, wieviel sie auf andere Weise für ihn tun könnte, stößt sie in eine Art Gewissenskonflikt, den sie aber ihm gegenüber nicht einmal andeutet, aus Furcht, ihre Beziehung zu belasten. Giacomo scheint ja auch sehr zufrieden damit, ab und an neben ihr im Theater zu sitzen, heimlich ihre Hand halten zu dürfen und ihr Liebesbezeugungen zu schreiben, allerdings in meist diskretem, zuchtvollem Ton, der selten über die Stränge schlägt.
    Einmal, während eines Konzertes in der Aeolian Hall, schreibt er auf die Rückseite eines Programmzettels, den er ihr reicht: » Wie gut verstehe ich Diebe! Wie glücklich müssen sie sein! Welch göttliches Gefühl muß es einem vermitteln, einen Safe aufzubrechen, ein Haus zu plündern, eine Frau zu überfallen, die mit Diamanten behängt ist! «
    Sybil reagiert mit dem ihr typischen Gestus, jemanden leicht mit dem Fächer gegen die Schulter zu tippen, wenn er frivol wird – und gefälligst weitermachen soll.
    Es ist erneut eine Art Minneverhältnis entstanden, in welchem Giacomo den Troubadour spielt und Sybil die Rolle der angeschmachteten Hohen Dame genießt/erduldet. Das hat etwas Verdruckstes, erzeugt aber – oder hält vielmehr aufrecht – eine erotische Spannung, mit allen Segnungen der Unverbindlichkeit und allen daraus entstehenden Vakuen der Begierde.
    Am 15. Juni wird, während eines Kurzaufenthaltes in Paris, ein Vertrag über das › Girl ‹ unterzeichnet, wie die Oper nun in der Kurzform genannt wird. Tito Ricordi, dessen Interesse an Puccini längst nachgelassen hat, reist an, um gute Ratschläge loszuwerden. Er wittert neue unglückliche Entscheidungen des Komponisten, denn jener hat sich in den Kopf gesetzt, daß nicht etwa Illica das Girl machen soll, sondern ein unbekannter, unerfahrener Autor namens Carlo Zangarini, der außer ein paar erfolglosen Dramen nichts vorzuweisen hat als seine Jugend.
    Doch genau darum geht es Puccini – möglichst wenig Widerstand gegen seine szenischen Vorstellungen erwarten zu müssen.

9
    GIACOMO PUCCINI, TORRE DEL LAGO, AN DEN DIREKTOR DES TECHNIKUMS MITTWEIDA, 28. Juli 1907
    Geehrter Herr!
    Ich bitte Sie, mir zu sagen, wann mein Sohn sich zu seiner Nachprüfung einfinden soll. Mein Sohn hat fast sein praktisches Jahr in Straßburg beendet, und ich möchte so bald wie möglich das Datum seines Wiedereintrittes in Mittweida wissen.
    Mit ergebenem Dank und Gruß
    Giacomo Puccini.
    TECHNIKUM MITTWEIDA
AN GIACOMO PUCCINI, BOSCOLUNGO ABETONE
(maschinenschriftliche Durchschrift)
8. August 1907
    Herrn
    Giacomo Puccini
    Boscolungo Abelone [sic]
    Auf Ihr wertes Schreiben vom 4. ds. Mts. teilen wir Ihnen mit, daß Ihr Sohn darum nachgesucht hat, die betr. Wiederholungsprüfung erst im Dezember ds. Js. ablegen zu dürfen. Es ist ihm dies gestattet worden. Er braucht also erst 2 bis 3 Tage vor dem 15. Oktober hier einzutreffen.
    Da ihm das Aufrücken in die nächsthöhere Abteilung im Oktober 1906 genehmigt

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