Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Huren, die es hier an jeder Ecke gebe.
Er sieht sich einige Opern an, Massenets Ariane , Erlangers Aphrodite , alles Käse, doch Pelléas et Mélisande von Debussy berührt ihn tief. Das Werk reiße das Publikum, schreibt er an Sybil, zwar nie zur Begeisterung hin, habe aber außerordentliche harmonische Qualitäten. Sofort läßt er sich die Partitur kommen und studiert sie sehr gründlich. Mehr noch als die Salome macht ihm der Pelléas deutlich, daß er sich künftig anstrengen muß, um instrumentatorisch auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Um so mehr, als die Uraufführung von Debussys Oper bereits vier Jahre zurückliegt.
Elvira, die sich zunehmend entbehrlich fühlt, reist Anfang Dezember nach Italien ab, enerviert von ihrem schwermütigen Gatten, der so viel Aufmerksamkeit an einen aus ihrer Sicht letztlich doch relativ erfolglosen Komponisten verschwendet. (Nur eine Oper!)
Giacomo schreibt am 12. Dezember in höchst freundschaftlichem Ton an David Seligman, er möchte seiner Frau doch erlauben, nach Paris zu kommen, Freunde seien so wichtig, und manchmal wäre deren physische Präsenz ein Gottesgeschenk, vor allem inmitten der nervösen Atmosphäre einer riskanten Premiere. Erst am Ende des Briefes fragt er David, ob er nicht auch nach Paris kommen wolle, es würde ihm eine große Freude sein.
David, zähneknirschend, versteht.
Wie erbeten, trifft bald darauf Sybil, ohne Mann und Kinder, in Paris ein und wohnt in Puccinis Hotel, im Hôtel de Londres . Zwischen den beiden herrscht erhöhter Gesprächsbedarf. Wie hatte er sich während des Sommers bloß so kühl, so distanziert ihr gegenüber verhalten können? Habe sie einen Fehler begangen?
Du hast einen anderen geheiratet als mich, meint Giacomo vordergründig scherzhaft, dabei voller Verbitterung. Unmöglich findet er, wie wenig David Seligman, erotisch gesehen, an Sybil liegt. In Wahrheit will er natürlich sagen, daß er es unmöglich findet, wie wenig sie bereit ist, Davids Eskapaden in gleicher Münze zurückzuzahlen. Giacomo und Sybil, so stellt sich heraus, haben noch längst nicht zu einer Einigung gefunden. Zu allem Unglück hat sich Madame Carré eine schwere Erkältung eingefangen, und die Premiere der Butterfly muß auf nach Weihnachten verlegt werden.
Sybil zeigt sich standhaft gegenüber Giacomos Versuchen, die gemeinsame Beziehung wieder auf eine körperliche Ebene zu heben, widersteht seinen Angeboten, doch nach Mitternacht noch etwas auf seinem Zimmer zu trinken. Wenigstens essen sie zusammen gut, vom Restaurant Maxim schwärmt er in höchsten Tönen. Illica kommt nach Paris und versucht, das Libretto der Conchita exklusiv an sich zu reißen, berichtet an Ricordi, in welch schlechtem Gesundheitszustand der Maestro sich befinde, Giacomo leide an Schlaflosigkeit, sei nur mehr ein Schatten seiner selbst.
Puccini wird das alles zuviel, er erträgt es nicht, quasi Wand an Wand mit Sybil zu träumen, ohne ihre Haut spüren zu dürfen, er unternimmt einen Kurztrip nach Mailand, um an der Scala die Proben zur Salome zu besuchen. Sybil reist ab, nach London, fühlt sich unverstanden. Giacomo hat ihr das Gefühl gegeben, als sei sie an seiner schlechten Stimmung schuld, als lasse sie ihn am ausgestreckten Arm hormonell verhungern, das findet sie ungerecht, unsensibel ihrer Situation gegenüber, sie sei nun einmal nicht, schreibt sie ihm, das, was er zum täglichen Bedarf benötige. Zudem habe sie ihm einmal gegönnt, was er wolle, ein zweites Mal werde die Erinnerung daran wenn nicht zerstören, so doch verwässern. Man sei nicht mehr so jung, wie man mal war.
Am 28. Dezember findet endlich die französische Erstaufführung der Butterfly statt. Puccini tut es nun leid, daß Sybil nicht bei ihm ist, um den Erfolg zu feiern. Immerhin ist überraschend Tonio aus Dresden angereist, und Puccini hat Mühe, im ausverkauften Haus für den eigenen Sohn noch einen Platz zu finden. Dessen Anwesenheit ist ein nur mäßiger Ersatz für Sybils Fehlen.
Tonio spürt das und beschließt, nie wieder eine Premiere seines Vaters zu besuchen. Erst in letzter Sekunde wurde er in dessen Loge geholt, als er schon befürchten mußte, im wahrsten Sinne des Wortes außen vor zu bleiben. Dabei war das Haus wirklich hoffnungslos ausgebucht, und die Notlösung, einen kleinen Schemel zusätzlich in die Loge zu stellen, blieb für Giacomo die wirklich einzige, wenn auch unbequeme, fast klaustrophobische Möglichkeit, Tonio am Spektakel teilhaben zu lassen.
Tonio wirft
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