Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
dem Vater vor, sich zu spät um eine Karte für ihn gekümmert zu haben, aus seiner Sicht erscheint es nicht glaubhaft, daß der Komponist, der wichtigste Mann des Abends, nicht Macht genug besitzt, Reservekontingente loszutreten.
Wann hätte ich mich denn drum kümmern sollen, wenn du hier eintrudelst, ohne Ankündigung, fünf Stunden bevor sich der Vorhang hebt? Und wenn du glaubst, bei einer Premiere sei der Komponist der wichtigste Mann des Abends, dann hast du vom Betrieb keine Ahnung!
Es kommt zum Streit. Tonio, der mit seinem Besuch Verbundenheit zum Vater demonstrieren, Interesse an dessen Arbeit zeigen wollte, fühlt sich wie ein Störenfried behandelt. Er interessiere sich gar nicht mehr für ihn, wirft er dem Vater nun vor.
Wie kommst du denn darauf?
Du hast mich schon seit zwei Monaten nicht mehr gefragt, wie es um meine schulischen Leistungen steht!
Tonio kann nicht wissen, daß Puccini sich über den Leistungsstand seines Sohnes regelmäßig schriftlich unterrichten läßt. Und Puccini schafft es so gerade eben noch, sich nicht zu verplappern.
Andere Söhne, murmelt er, wären sehr sehr froh, wenn sie nicht dauernd nach ihren schulischen Leistungen gefragt würden. Nicht danach zu fragen beweise doch ein gewisses Urvertrauen in seinen Fleiß. Übrigens, wenn es gar nicht anders gegangen wäre, hätte er ihm den eigenen Sessel überlassen und von der Hinterbühne zugesehen. So sehr liebe er ihn. Jetzt aber Schluß mit dem Thema, er sei kein Platzanweiser, müsse sich weiß Gott um anderes kümmern, und Tonio sicher auch. Nebenbei, wie seien denn seine schulischen Leistungen?
Das genau ist der wunde Punkt, der, sobald angesprochen, Tonio kleinlaut reagieren und schon am nächsten Tag wieder abreisen läßt.
8
In den ersten acht Tagen des Jahres
1907
schreibt Giacomo an Sybil fünf Briefe, die darum bitten, für seine Lage Verständnis zu zeigen, er versichert sie seiner Liebe und beschwört ein künftiges Arrangement rein geistiger Natur, er habe aus dem Vorgefallenen gelernt und werde sich dementsprechend verhalten. Er hasse es, hier eine Einladung nach der anderen ableisten zu müssen, um nicht als arrogant zu gelten – und am meisten graue ihm vor der baldigen Amerikareise, jedoch sei ein erfolgreicher Künstler immer auch Geschäftsmann, und die Vereinigten Staaten bildeten einen, wenn er so sagen dürfe, riesigen, noch unentdeckten Absatzmarkt. Andere Komponisten, in ihrer europäischen Überheblichkeit, kapierten das nicht. Und doch hätten diese vielleicht recht, wenn sie sich einfach hinsetzten und komponierten, vielleicht sei er ja der Dumme, das könne schon sein.
Ich hätte, schreibt er, von Anfang an auf Ihr Urteil hören sollen, was die Conchita betrifft, mehr und mehr zerrinnt mir der Stoff unter den Händen, ich bin inzwischen schon soweit, ihn nur noch aus Trotz zu komponieren, aber Trotz ist kein guter Pate für die Kunst.
Er sendet Sybil ein neues Liebesgedicht und bittet sie um eine Portion jener ›Medizin, die die Seele stärkt‹.
Sie wisse schon, was gemeint sei.
Wieder vereint mit Elvira geht er am 9. Januar in Southampton an Bord der Kaiserin Auguste Victoria . Inzwischen braucht er keinen Stock mehr, und den verfaulten Zahn hat er sich auch endlich ziehen lassen. Gegen alle Erwartung genießt er die Reise auf dem Dampfer mit dessen 40.000- PS -Maschinen, überwältigt vom Luxus, der ihn empfängt. Die Kabine hat ein Bad, einen Salon und wird mit elektrischem Licht aus siebzig Glühbirnen beleuchtet. Das Schiff besitzt einen Wintergarten, in dem Palmen wachsen, es gibt zwei Restaurants und eine Bierstube. Ramelde gegenüber berichtet er brieflich von den Gymnastiksälen und den elektrisch bewegten Holzpferden, von denen die Amerikanerinnen an Bord sich den ganzen Tag die Gebärmutter durchrütteln lassen. Drei Orchester machen Musik, es gibt eine Bordzeitung – allerdings nur auf Deutsch und Englisch. (Puccinis Fremdsprachenkenntnis beschränkt sich auf mittelprächtiges Französisch.) Nachrichten erhalte man durch den Funktelegraphen, die elektrische Heizung liefere jederzeit warmes Wasser, sogar die Zigarettenanzünder würden elektrisch betrieben. Puccini schwärmt seitenweise für so viel Komfort, sein Glaube an die Allmacht der Elektrizität zeigt sich in vollem Glanz bewiesen, das Schiff, eine schwimmende Stadt, erscheint ihm als Prototyp der Zukunft.
Elvira leidet wie üblich unter dem Seegang, der zwar keineswegs heftig genannt werden kann, aber,
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