Die kleinen Gärten des Maestro Puccini: Roman (German Edition)
Stokken. Nach den Erlebnissen der Salome und des Pelleas müsse er der Oper, schreibt er an Sybil, einen besonders charakteristischen Ausdruck verleihen, der über den der Butterfly noch weit hinausgehe. Während er moniert, daß in seinem Land nur Neid herrsche und Größe, vor allem künstlerische Größe, nicht anerkannt werde, nimmt er für das laufende Halbjahr 84.000 Lire ein, in heutiger Kaufkraft knapp anderthalb Millionen Euro. Doch läßt er die Familie am Geldregen großzügig teilhaben. Die Leibrente für seine verwitwete Schwester Nitteti erhöht er von 110 auf 150 Lire pro Monat.
Von D’Annunzio trifft unterdes per Brief der Vorschlag für einen grandiosen Opernstoff ein:
Sie wollen das Publikum zum Weinen bringen, Maestro, gut, also bitte: Was gibt es da Besseres als den Kinderkreuzzug! Schon alleine der Titel: Kinderkreuzzug . Großartig. Mythische Zeit. 12. Jahrhundert. Als es noch fliegende Drachen gab. Und Inbrunst. Und Wunder. Zu Tausenden von zu Hause ausgerissene Kinder, in einer fernen Wüste, zerlumpte, halb verhungerte Kinder, zwanzig oder dreißig sind übrig, die wenigen, die noch nicht gefangen und als Sklaven in arabische Länder verkauft wurden, die wenigen, mit ihren großen selbstgebastelten Holzkreuzen, die sie vor sich her tragen, immer noch religiös beseelt, unter starken, violetten Wolken, aus denen Lichtstrahlen brechen, und vorne, an der Spitze des Zuges, die beiden ältesten, er sechzehn, sie vierzehn, eine zarte, sich unbewußte Liebesgeschichte, die tragisch zu Ende geht in einem Sandsturm, der langsam den letzten Choral der Kinder überrrollt, übertönt, den Choral an die Mutter zu Hause, bis am Ende nur noch der Wind braust und die Gnade Gottes aus den dräuenden Wolken bricht, ein wuchtiges, dennoch samtiges Gleißen, ein lange strahlender, dann ersterbender Akkord. Misterioso . Und Schwarz. Alles Schwarz … Tiefes Schwarz!!
Überlegen Sie nicht zu lang! Das ist ein gewaltiger Stoff! Ein gewaltiger Stoff. Wir zwei schaffen das!
Puccini schreibt zurück, das klinge ganz, ja, er finde gar kein treffendes, angemessenes Wort dafür, man müsse das unbedingt einmal ins Auge fassen, wenn er mit seiner momentanen Arbeit fertig geworden sei, die sich allerdings über Jahrzehnte hinziehen könne. Erst 1912 wird das Sujet erneut diskutiert, allerdings eher, weil sich Puccini nicht entgehen lassen will, die Story noch einmal aus dem Munde des leidenschaftlich deklamierenden Poeten zu hören. (ANM. 1)
Danach wird D’Annunzio in einem boshaften Vers den Massaciuccoli-See preisen, der so reich an Wasservögeln wie arm an Inspiration sei.
Immerhin gelangt der verschuldete Poet auf anderen Wegen zu Reichtum. Seine Theaterstücke werden, dank seiner Geliebten, der Schauspielerin Eleonore Duse, zu kassenträchtigen Erfolgen.
Wochenlang komponiert Puccini in Chiatri in völliger Ruhe und Einsamkeit, bis er im August vor der Hitze höher hinauf nach Boscolungo Abetone flieht, begleitet nur von seinem Chauffeur, Silvio Peluffo. Eine ältere Dame aus dem Ort wird als Köchin engagiert. Er nimmt stark ab.
Im Gebirge regnet es ununterbrochen, und er brütet über dem endgültigen Titel der Oper, schwankt zwischen La Figlia del West und L’Occidente d’Oro . Sybil, um Rat gebeten, rät zu La Fanciulla del West . Er nimmt den Rat an, obwohl Ciulla im Toskanischen soviel wie ›Strohkopf‹ bedeutet und er gehässige Wortspiele der Kritik fürchtet, die ihm, anders als das Publikum, nie sonderlich gewogen ist. Wenn es eine Rangliste der Künstler gäbe, deren Bedeutung in signifikanter Diskrepanz zur Rezeption der Kritik steht, fände man Puccini sicher auf den vordersten Rängen. Öffentlich hat er sich über diese Ablehnung selten geäußert, gegenüber Freunden jedoch ständig. Auch dies ist (neben seiner Überzeugung von der Melodie als krönendem Wesen der Musik) ein Grund, weshalb er den Bruch mit der Tonalität scheut – die Aussicht, von der Kritik und vom Publikum mißachtet zu werden, kann er nicht ertragen.
Nach Torre del Lago schreibt er, es wäre eine enorme Hilfe, wenn ihm hier jemand im Haushalt zur Hand ginge, Elvira möge doch Doria schicken, sofern sie sie entbehren könne.
Doria könne sie leider nicht entbehren, schreibt Elvira zurück. Falls es in der Einsamkeit von Boscolungo keine Straßenmädchen gebe, müsse er sich eben eines vorstellen, dazu sei er ja Künstler, dazu habe er Phantasie, der Rest sei Handwerk.
Giacomo kann sich diese Zeilen nicht recht
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