Die Klimafalle - die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung
Geoengineering und Förderung technischer Innovationen zur emissionsfreien Gewinnung von Energie. Vieles davon hat sich denn auch schon durchgesetzt und ist Gegenstand von Verhandlungen, doch sind solche Ansätze noch weit davon entfernt, die politikrelevante und öffentlichkeitswirksame Beschreibung des Klimaproblems zu bestimmen.
Die Notwendigkeit für eine Änderung der Problembeschreibung und damit einhergehend die veränderte Ausrichtung und Zielsetzung der Klimapolitik sind vor allem seit Kopenhagen drängender denn je. In der Zeit zwischen dem Weltgipfel in Rio 1992 und Rio +20 sind die Emissionen deutlich gestiegen, und es ist nirgendwo abzusehen, wie sich dasin den kommenden Jahrzehnten ändern sollte. Hier fallen insbesondere die klassischen Schwellenländer ins Gewicht, deren Energieverbrauch noch um ein Vielfaches ansteigen wird. Oliver Geden von der regierungseigenen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ macht darauf aufmerksam, dass die Durchsetzung des von der EU beschlossenen 2-Grad-Ziels bereits bis 2020 drastische Reduzierungen erfordern würde, deren Erreichbarkeit kaum mehr realistisch sein dürfte. 52 Eine Modifikation des 2-Grad-Zieles, so Geden, ist daher unausweichlich. Wie dies ohne Gesichtsverlust geschehen kann, ist sicherlich eine Frage der Klimadiplomatie. Man kann das Ziel als eine ungefähre Richtgröße mit nicht exakter Stelle hinter dem Komma beschreiben, oder durch ein gewichtigeres Ziel ersetzen. Eine Konsequenz erscheint jedoch unausweichlich: Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik wird sich ändern und einer pragmatischeren Variante weichen müssen. Politik kann sich nicht durch Zielvorgaben aus der Wissenschaft definieren, und die Wissenschaft kann sich nicht in Geiselhaft der Politik begeben, ohne ihre Glaubwürdigkeit noch mehr zu riskieren. Es verwundert daher wenig, dass sich viele sozialwissenschaftlichen Arbeiten über die Klimapolitik genau mit dieser Frage des bisherigen Beratungsansatzes beschäftigen.
Alternative und zunehmend an Akzeptanz gewinnende Ideen kommen aus amerikanischen Thinktanks wie dem „Breakthrough Institute“ aus Kalifornien, dessen Direktoren Nordhaus und Shellenberger seit langem dafür plädieren, die Klimapolitik anders als die bisherige Umweltpolitik zu konzipieren. 53 Sie bemängeln an Letzterer vor allem den moralisierenden Ansatz und eine Politik, die ausschließlich restriktiv ist und auf Verzicht, Einschränkung und Verboten beruht. Sie fordern, den Klimawandel als eine Chance zu begreifen, die Forschung nach neuen Technologien und damit auch die Industrie anzukurbeln. Anstatt mit Katastrophen und Alarmismus eine sowieso kaum wirksame Volkserziehungspolitik zu betreiben und verfehlte Emissionsziele zu beklagen, schlagen sie vor, die Erfolge auf dem Gebiet der Dekarbonisierung aufzulisten und Zuwächse zu fördern. Dieser pragmatisch-optimistische Ansatz findet einen elaborierten Ausdruck im sogenannten Hartwell-Papier, 54 das von prominenten Wissenschaftlern aus Sozial- und Naturwissenschaften entworfen wurde. Hier wird derselbe positive Ansatz aufgegriffen, indem die „Würde des Menschen“ in den Mittelpunkt gestellt wird. Anstatt den Fokus auf Energieeinsparung zu lenken, fordert das Papier ausdrücklich, dass alle Menschen ein Recht auf Zugang zu (billiger) Energie haben sollten. Gerade in den Schwellenländern und erst recht den nicht entwickelten Ländern sind viele Millionen Haushalte noch nicht an ein Energienetz angeschlossen. Die Autoren sehen aber als eine Grundvoraussetzung jeglicher Klimapolitik an, dass die Menschen zumindest ein solches Level an Lebensqualität erreicht haben, um sich weiteren Zielen widmen zu können.
Ist dieser Anspruch erst einmal gesetzt, richtet sich die zweite Forderung natürlich auf die Entwicklung umweltfreundlicher und emissionsfreier Energiegewinnung und Technologie. Dekarbonisierung als Ziel darf diesem Ansatz zufolge nicht Restriktion und Verknappung bedeuten, sondern Investition in Forschung und Industrie. Auf gleicher Linie liegt das dritte und vielleicht unmittelbar wichtigste Ziel, die Anpassung an Klimafolgen. Der Klimawandel ist in vollem Gange, immer mehr Menschen wohnen in verletzlichen Regionen, und ihr Schutz muss Vorrang haben. Der Fokus ist hier nicht auf das Globale gerichtet, sondern auf die konkreten Orte, an denen Menschen leben.
Alle diese mehr oder weniger pragmatischen und realistischen Ansätze stehen den derzeitigen Bemühungen im Rahmen der globalen
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