Die Klinge der Träume
Blick, den sie ihm zuwarf, war heiß genug, um ein Loch in seinen Mantel zu brennen. »Ich hoffe, in Olvers Becher ist mehr Wasser als Wein.«
»Es ist Ziegenmilch«, sagte der Junge indigniert. Nun ja, vielleicht war Olver auch noch etwas zu jung für ordentlich verdünnten Wein.
Tuon richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, aber sie war immer noch kleiner als Selucia, die schon eine kleine Frau war. »Wie habt Ihr mich genannt?«, fragte sie so scharf, wie ihr Akzent erlaubte.
»Mein Juwel. Ihr habt einen Kosenamen für mich, also dachte ich, ich finde einen für Euch, mein Juwel.« Selucia stand kurz davor, dass ihr die Augen aus dem Kopf quollen.
»Ich verstehe«, murmelte Tuon und schürzte nachdenklich die Lippen. Die Finger ihrer rechten Hand bewegten sich wie unbewusst, und Selucia rutschte sofort vom Bett und ging zu einer der Kommoden. Sie nahm sich allerdings die Zeit, ihm über Tuons Kopf hinweg einen bösen Blick zuzuwerfen. »Sehr gut«, sagte Tuon nach einem Moment.
»Es wird interessant sein zu sehen, wer dieses Spiel gewinnt, Spielzeug.«
Mats Lächeln gefror. Spiel? Er versuchte doch bloß, das Gleichgewicht wieder etwas zu richten. Aber sie sah darin ein Spiel, und das bedeutete, er konnte verlieren. Würde vermutlich verlieren, da er keine Ahnung hatte, um was für ein Spiel es hier ging. Warum machten Frauen die Dinge immer nur so… kompliziert?
Selucia nahm wieder ihren Platz ein und stellte einen angestoßenen Becher vor ihn sowie einen blau glasierten Teller mit einem halben Laib knusprigem Brot, sechs verschiedenen Arten Oliven und drei Sorten Käse. Das munterte ihn wieder auf. Er hatte darauf gehofft, wenn auch nicht damit gerechnet. Hatte man eine Frau dazu gebracht, dass sie einem zu Essen gab, fiel es ihr schwer, einen davon abzuhalten, wieder die Füße unter ihren Tisch zu stellen.
»Das Interessante daran ist«, sagte Noal und fuhr mit seiner Geschichte fort, »in diesen Ayyad-Dörfern kann man Frauen jeden Alters sehen, aber keine Männer, die weit über zwanzig sind. Nicht einen.« Olvers Augen wurden noch größer. Der Junge sog Noals Geschichten regelrecht auf, über die Länder, die er gesehen hatte, sogar die Länder jenseits der Aiel-Wüste, schluckte sie ganz ohne Butter.
»Seid Ihr mit Jain Charin verwandt, Noal?« Mat kaute eine Olive und spuckte den Kern diskret in die Hand. Das Ding schmeckte, als stünde es kurz vor dem Verderben. Genau wie die nächste. Aber er war hungrig, also stopfte er sie in sich hinein und ließ den krümeligen weißen Ziegenkäse folgen, während er Tuons Stirnrunzeln ignorierte.
Das Gesicht des alten Mannes wurde so starr wie ein Stein, und Mat hatte ein Stück Brot abgerissen und auch das gegessen, bevor Noal antwortete. »Ein Cousin«, sagte er schließlich widerstrebend. »Er war mein Cousin.«
»Ihr seid verwandt mit Jain Fernstreicher?«, sagte Olver aufgeregt. Die Reisen vo n Jain Fernstreicher war das Lieblingsbuch seines Vaters gewesen, das er weit über seine Schlafenszeit hinaus im Lampenschein gelesen hätte, hätten Juilin und Thera es erlaubt. Wenn er groß war, wollte er alles sehen, was Fernstreicher gesehen hatte, all das und noch mehr.
»Wer ist dieser Mann mit den zwei Namen?«, fragte Tuon. »Nur von großen Männern spricht man so, und Ihr sprecht, als sollte ihn jeder kennen.«
»Er war ein Narr«, sagte Noal grimmig, bevor Mat den Mund aufmachen konnte, obwohl Olver das schaffte und ihn aufstehen ließ, während der alte Mann fortfuhr. »Er reiste in der Welt herum und ließ eine gute und liebende Frau zurück, die am Fieber starb, ohne dass er ihr dabei die Hand hielt. Er ließ sich zum Werkzeug machen von…« Noals Gesicht wurde abrupt ausdruckslos. Er starrte durch Mat hindurch und rieb sich die Stirn, als wollte er sich an etwas erinnern.
»Jain Fernstreicher war ein großer Mann«, sagte Olver wild. Seine Hände waren zu kleinen Fäusten geballt, als wäre er bereit, für seinen Helden zu kämpfen. »Er hat gegen Trollocs und Myrddraal gekämpft, und er hat mehr Abenteuer erlebt als sonst jemand auf der ganzen weiten Welt! Selbst als Mat! Er hat Cowin Gemallan gefangen, nachdem Gemallan Malkier an den Schatten verraten hat!«
Noal kam mit einem Ruck wieder zu sich und klopfte Olver auf die Schulter. »Das hat er, Junge. Das muss man ihm anrechnen. Aber welches Abenteuer ist es wert, dass man seine Frau allein sterben lässt?« Er klang traurig genug, um selbst auf der Stelle zu sterben.
Darauf wusste
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