Die Klinge der Träume
offensichtlich von demselben Silberschmied gefertigt. Einer stand westlich des schwarzen Rechtecks, der andere östlich. Luan, Ellorien und Abelle, Aemlyn, Arathelle und Pelivar standen in diesen beiden Lagern etwa sechzigtausend Mann zur Verfügung. Ihre Ländereien und die der ihnen verpflichteten Adligen mussten fast völlig entvölkert sein. In diesen beiden Lagern war Dyelin die letzten drei Tage gewesen und hatte versucht, ihre Absichten in Erfahrung zu bringen.
Der kleine Gardist öffnete einen der Türflügel und hielt sie für eine ältere Dienerin auf, die ein Silbertablett mit zwei hohen goldenen Weinkannen und einer Reihe Pokalen aus blauem Meervolkporzellan hereintrug. Reene musste sich unsicher gewesen sein, wie viele Leute anwesend sein würden. Die gebrechliche Frau bewegte sich langsam, achtete darauf, dass das schwere Tablett nicht kippte und sie nichts fallen ließ. Elayne wob Ströme aus Luft, um ihr das Tablett abzunehmen, dann ließ sie sie sich ungenützt auflösen. Anzudeuten, dass die Frau ihrer Arbeit nicht gewachsen war, würde nur demütigend sein. Aber sie dankte ihr überschwänglich. Die alte Frau lächelte breit, offensichtlich begeistert, und machte einen tiefen Knicks, sobald sie das Tablett abgestellt hatte.
Dyelin kam fast zeitgleich mit der Dienerin, ein Abbild blühender Vitalität, und scheuchte sie hinaus, bevor der Inhalt einer der Kannen sie das Gesicht verziehen ließ - Elayne seufzte; zweifellos war es Ziegenmilch - und sie sich aus der anderen bediente. Offensichtlich hatte Dyelin ihre Toilette auf Gesichtwaschen und Kämmen beschränkt, denn ihr dunkelgraues Reitkleid mit der großen runden Silbernadel mit Taravins Eule und Eiche an dem hohen Kragen wies Flecken halb getrockneten Schlamms auf den Röcken auf.
»Hier stimmt etwas nicht«, sagte sie und ließ den Wein im Pokal kreisen, ohne zu trinken. Ein Stirnrunzeln ließ die feinen Falten um ihre Augenwinkel stärker hervortreten. »Ich bin öfters in diesem Palast gewesen, als ich zählen kann, und heute habe ich mich zweimal verlaufen.«
»Darüber wissen wir Bescheid«, erwiderte Elayne und erklärte schnell, was sie sich zusammengereimt hatten und was sie vorhatte. Zu spät webte sie eine Abschirmung gegen Lauscher und war keineswegs überrascht, als sie Saidar zertrennte. Immerhin würde der Lauscher einen Schlag erhalten. Einen kleinen Schlag, da so wenig von der Macht benutzt worden war, dass sie sie vorher nicht wahrgenommen hatte. Vielleicht würde es nächstes Mal eine Möglichkeit geben, einen harten Schlag daraus zu machen. Vielleicht würde das ja Lauscher endlich entmutigen.
»Also könnte es erneut passieren«, sagte Dyelin, als Elayne verstummte. Ihr Ton war ganz ruhig, aber sie befeuchtete sich die Lippen und nahm einen Schluck Wein, als hätte sie plötzlich einen trockenen Mund. »Nun gut. Wenn Ihr die Ursache nicht kennt und nicht wisst, ob es erneut geschehen wird, was sollen wir dann tun?«
Elayne starrte sie an. Wieder schien jemand zu denken, sie hätte Antworten, die sie jedoch gar nicht hatte. Aber das bedeutete es nun einmal, Königin zu sein. Es wurde ständig von einem erwartet, Antworten zu haben oder welche zu finden. Das bedeutete es, eine Aes Sedai zu sein. »Wir können es nicht aufhalten, also werden wir damit leben müssen, Dyelin, und versucht dafür zu sorgen, dass die Leute nicht zu viel Angst bekommen. Ich werde verkünden, was geschehen ist, soweit wir es jedenfalls wissen, und ich sorge dafür, dass die anderen Schwestern es ebenfalls tun. So werden alle wissen, dass die Aes Sedai Bescheid wissen, und das sollte ein gewisser Trost sein. Sie werden sich natürlich trotzdem fürchten, aber nicht so sehr, als wenn wir schweigen und es wieder geschieht.«
Ihr kam das wie eine schwache Maßnahme vor, aber überraschenderweise stimmte ihr Dyelin ohne Zögern zu. »Ich kann selbst vorschlagen, dass nichts anderes unternommen wird. Die meisten Menschen glauben, dass ihr Aes Sedai alles regeln könnt. Das müsste unter diesen Umständen reichen.«
Und wenn sie erkannten, dass Aes Sedai nicht alles regeln konnten, dass sie das nicht konnte? Nun, das war ein Fluss, den sie überqueren würde, wenn sie an seinem Ufer stand.
»Sind es gute Neuigkeiten oder schlechte?«
Bevor Dyelin antworten konnte, öffnete sich die Tür schon wieder.
»Ich habe gehört, dass Lady Dyelin zurückgekehrt ist. Ihr hättet nach uns schicken sollen, Elayne. Noch seid Ihr nicht die Königin, und ich
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