Die Klinge der Träume
unmöglich. Birgitte litt nicht unter plötzlichen Halluzinationen. Plötzlich ergab Naris' Zögern, ihre Gemächer zu verlassen, einen Sinn, vielleicht auch Reenes Verblüffung vorhin. Beinahe wünschte sie sich, die Schwangerschaft hätte ihren Verstand tatsächlich getrübt. Aber wie konnte das sein? »Nicht die Verlorenen«, sagte sie bestimmt. »Wenn sie zu so etwas fähig wären, hätten sie es schon vor langer Zeit getan, und schlimmer als… auch Euch einen schönen Tag, Lord Aubrem.«
Dürr und zäh und abgesehen von einem dünnen Haarkranz völlig kahl, hätte Aubrem Pensenor die Kinder seiner Enkel auf den Knien wiegen sollen, aber sein Rücken war gerade und sein Blick messerscharf. Er hatte zu den Ersten gehört, die in Caemlyn eingetroffen waren, mit fast hundert Mann und der Nachricht, dass es Arymilla Marne war, die unterstützt von Naean und Elenia auf die Stadt zumarschierte. Er fing an, in Erinnerungen an die Zeit zu schwelgen, in der er für die Thronfolge ihrer Mutter geritten war, bis Birgitte etwas davon murmelte, dass Lady Dyelin sie erwartete.
»Oh, in diesem Fall lasst Euch nicht von mir aufhalten, meine Lady«, sagte der alte Mann herzlich. »Bitte richtet Lady Dyelin meine Grüße aus. Sie ist so beschäftigt gewesen, ich habe seit ihrer Ankunft in Caemlyn keine zwei Worte mit ihr wechseln können. Meine Empfehlung, wenn Ihr so freundlich sein wollt.« Haus Pensenor war seit undenkbaren Zeiten mit Dyelins Taravin verbündet.
»Nicht die Verlorenen«, sagte Birgitte, sobald Aubrem außer Hörweite war. »Aber was dafür die Ursache ist, das ist bloß die erste Frage. Wird es erneut passieren? Wenn ja, werden die Veränderungen immer ungefährlich sein? Oder wachst du auf und findest dich in einem Zimmer ohne Fenster und Türen wieder? Was passiert, wenn du in einem Zimmer schläfst, das verschwindet? Wenn ein Korridor verschwinden kann, dann auch ein Zimmer. Und was, wenn mehr als nur der Palast davon betroffen ist? Was ist, wenn das nächste Mal einfach ein Teil der Stadtmauer nicht mehr da ist?«
»Du wälzt wirklich finstere Gedanken«, sagte Elayne düster. Obwohl die Macht sie ausfüllte, reichten die Möglichkeiten, um ihr Magenschmerzen zu bereiten.
Birgitte berührte die vier goldenen Knoten auf der Schulter des roten Mantels mit dem weißen Kragen. »Die sind mit dem hier gekommen.« Seltsam, die Sorge, die der Bund überbrachte, war nun nicht mehr so stark, nachdem sie ihre Befürchtungen geteilt hatten. Elayne hoffte, dass ihre Freundin nicht glaubte, sie wüsste die Antworten. Nein, das war unmöglich. Dafür kannte Birgitte sie zu gut.
»Macht Euch das Angst, Deni?«, fragte sie. »Ich muss zugeben, mir macht es Angst.«
»Nicht mehr als nötig, meine Lady«, sagte die stämmige Frau, ohne in ihrer Wachsamkeit nachzulassen. Wo die anderen mit der Hand auf dem Schwertgriff gingen, ruhte ihre Hand auf der Keule. Ihre Stimme war so nüchtern und ruhig wie ihre Miene. »Einmal hätte mir ein großer Kutscher namens Eldrin Hackly fast das Genick gebrochen. Eigentlich war er kein brutaler Mann, aber an diesem Abend war er mehr als betrunken. Ich konnte nicht im richtigen Winkel zuschlagen, und meine Keule schien von seinem Schädel abzuprallen, ohne auch nur eine Beule zu hinterlassen. Das hat mir mehr Angst gemacht, weil ich mit absoluter Sicherheit wusste, ich würde sterben. Das hier ist nur eine Möglichkeit, und jeder Tag, an dem man erwacht, kann der Tag sein, an dem man stirbt.«
Jeder Tag, an dem man erwacht, kann der Tag sein, an dem man stirbt. Vermutlich gab es schlimmere Möglichkeiten, das Leben zu betrachten, fand Elayne. Trotzdem verspürte sie ein Frösteln. Sie war sicher, zumindest bis zur Geburt ihrer Kinder, aber sonst niemand.
Die beiden Wachtposten vor der breiten, mit Löwen verzierten Flügeltür des Kartenzimmers waren erfahrene Gardisten, der eine klein und fast schon hager, der andere breit genug, um gewaltig zu erscheinen, obwohl er von normaler Größe war. Nichts schien sie von den anderen Mitgliedern der Garde zu unterscheiden, aber diesen Posten bekamen nur gute Schwertkämpfer, vertrauenswürdige Männer. Der kleine Mann nickte Deni zu, dann nahm er Haltung an, als er Birgittes missbilligenden Blick bemerkte. Deni lächelte ihm schüchtern zu - Deni! schüchtern! während zwei Gardistinnen das unvermeidbare Ritual absolvierten. Birgitte wollte etwas sagen, aber Elayne legte ihr die Hand auf den Arm, und ihre Behüterin sah sie an und
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