Die Klinge der Träume
»Sie halten sich zurück, denn wer auch immer hier gewinnt, er muss sich mit ihnen auseinander setzen.« Er nahm den Bären und wog ihn in der Hand, als könnte ihm sein Gewicht Antworten geben. »Aber was ich dabei nicht verstehe, warum sie überhaupt bei uns eingefallen? Wir sind so weit von den Grenzländern weg. Und warum sind sie nicht weitermarschiert und haben Caemlyn angegriffen? Sie könnten Arymilla zur Seite fegen, und ich bezweifle, dass wir sie so leicht abwehren könnten wie Arymilla. Also warum sind sie hier?«
Conail schlug ihm lächelnd auf die Schulter. »Na, das wird eine tolle Schlacht werden, wenn wir uns den Grenzländern entgegenstellen. Northans Adler und Mantears Amboss werden Andor an diesem Tag mit Stolz erfüllen, was?« Perival nickte, aber die Vorstellung schien ihm nicht zu gefallen. Conail hingegen schon.
Elayne wechselte einen Blick mit Dyelin und Birgitte, die beide erstaunt aussahen. Elayne war selbst erstaunt. Die beiden Frauen wussten natürlich Bescheid, aber der kleine Perival hatte beinahe an ein Geheimnis gerührt, das bewahrt werden musste. Irgendwann würde man darauf kommen, dass die Grenzländer die anderen Häuser dazu hätten bringen sollen, sich ihr anzuschließen, aber das durfte man um keinen Preis bestätigen.
»Luan und die anderen haben Arymilla um einen Waffenstillstand gebeten, bis die Grenzländer vertrieben worden sind«, sagte Dyelin nach einem Augenblick. »Sie hat um Bedenkzeit gebeten. So wie ich mir das ausgerechnet habe, ist das der Zeitpunkt gewesen, an dem sie die Angriffe auf die Mauer verstärkt hat. Sie hat ihnen mitgeteilt, dass sie noch immer darüber nachdenkt.«
»Mal von allem anderen abgesehen zeigt das genau, warum Arymilla den Thron nicht verdient«, sagte Catalyn hitzig. »Ihre eigenen Ambitionen sind ihr wichtiger als Andors Sicherheit. Luan und die anderen müssen Narren sein, wenn sie das nicht erkennen.«
»Sie sind keine Narren«, erwiderte Dyelin. »Nur Männer und Frauen, die glauben, dass sie die Zukunft besser vorsehen können, als sie es in Wahrheit tun.«
Was, wenn sie und Dyelin diejenigen waren, die die Zukunft nicht klar sahen?, fragte sich Elayne. Um Andor zu retten, hätte sie auch Dyelin unterstützt. Nicht gern, aber um Andors Blut zu retten, hätte sie es getan. Dyelin hätte die Unterstützung von zehn Häusern gehabt, sogar mehr als zehn. Selbst Danine Candraed hätte sich möglicherweise endlich entschieden, ihre Lethargie abzuschütteln, um Dyelin zu unterstützen. Aber Dyelin wollte nicht Königin werden. Sie glaubte, dass Elayne die Richtige war, um die Rosenkrone zu tragen. Elayne glaubte das auch. Aber was, wenn sie sich irrte? Diese Frage stellte sich ihr nicht zum ersten Mal, aber jetzt, da sie die Karte mit all ihren schlechten Nachrichten anstarrte, konnte sie sie nicht abschütteln.
An diesem Abend saß sie nach einem Nachtmahl, das nur deshalb erwähnenswert war, weil man sie mit ein paar winzigen Erdbeeren überrascht hatte, in dem großen Wohnzimmer ihrer Gemächer und las. Versuchte zu lesen. Das in Leder gebundene Buch war eine Geschichte Andors, wie in letzter Zeit der größte Teil ihrer Lektüre. Um an eine echte Version der Wahrheit zu kommen, war es erforderlich, so viele davon zu lesen wie möglich und sie miteinander zu vergleichen. Zum einen erwähnte kein Buch, das während der Herrschaft einer Monarchin veröffentlicht worden war, ihre oder die Fehltritte ihrer unmittelbaren Vorgängerinnen, wenn sie demselben Haus angehörten. Man musste Bücher lesen, die geschrieben worden waren, während Trakand den Thron besetzte, um Mantears Fehler zu erfahren, und Bücher, die unter Mantears Herrschaft erschienen waren, um Norwelyns Fehler zu erfahren. Die Fehler anderer konnten sie lehren, sie nicht zu wiederholen. Das war fast die erste Lektion gewesen, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte.
Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Oftmals ertappte sie sich dabei, eine Seite anzustarren, ohne ein Wort wahrzunehmen, in Gedanken bei ihrer Schwester, oder dass sie anfing, Aviendha etwas sagen zu wollen, bevor ihr einfiel, dass sie nicht da war. Sie fühlte sich sehr einsam, was lächerlich war. Sephanie stand in der Ecke, nur für den Fall, dass sie etwas brauchte. Acht Gardistinnen standen vor der Tür ihrer Gemächer, und eine von ihnen, Yurith Azeri, war eine ausgezeichnete Gesprächspartnerin, eine gebildete Frau, die aber nie über ihre Vergangenheit redete. Aber keine von ihnen war
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