Die Klinge des Löwen 01
ihre Gesten
und ihre Blicke mißverstand? Hatte er sich zuviel
herausgenommen? Die Gedanken durchzuckten ihn wie Blitze. War er so
verliebt in sie, daß er nicht mehr klar zu denken vermochte?
War er denn wahnsinnig geworden - sich der Gemahlin seines Herrn in
so unzweideutiger Weise zu nähern?
Er
riß sich zusammen. „Diese Nacht werden wir auf jeden Fall
noch hier auf der Husenburg verbringen. Ich muß mit Eurem
Schwager sprechen, vielleicht gibt es eine Möglichkeit, die Burg
ungesehen zu verlassen.“
Erneut
trat sie auf ihn zu, und abermals legte sie die Hand auf seinen Arm,
daß ihm heiß und kalt wurde. „Tut, was Ihr könnt.
Ich werde froh sein, wenn wir diesen Ort hinter uns gelassen haben.“
In
einer Art von Gefühlsaufwallung ließ er sich unvermittelt
vor ihr auf sein rechtes Knie sinken, ergriff ihre weiche Hand und
führte sie mit theatralischer Gebärde an seine heiße
Stirn. „Mein Leben für Euer Glück, Gräfin!“
Mit
mütterlicher Geste bewegte sie ihn, sich zu erheben.
„ Ich
weiß, mein Ritter, ich weiß“, flüsterte sie
liebevoll. „Doch jetzt geht, Dietrich, und wißt, meine
Gedanken sind bei Euch. Gott schütze Euch!“
Er
verließ ihr Gemach wie im Traum. Eine lächerliche
knabenhafte Freude überkam ihn, und sein Verstand schien
auszusetzen. Er hätte alle und jeden umarmen mögen, und er
mußte an sich halten, um nicht laut zu singen. Seine Zuversicht
schwoll ins Unermeßliche. Ein Kriegshaufe vor der Burg - zum
Teufel damit! Er würde eine Bresche in die feindlichen Reihen
schlagen und Ida ungefährdet hindurchführen...
Nach
einer Weile kehrte jedoch die Vernunft bei ihm zurück. Er sah
ein, daß es klüger war, sich mit den nüchternen
Tatsachen zu befassen, anstatt über das Schlagen von Breschen
nachzudenken. Er beschloß, sich in seine Unterkunft
zurückzuziehen, um in Ruhe zu überlegen, welche Maßnahmen
zu treffen seien.
Der
Tag ging vorüber, ohne daß sich noch etwas Bemerkenswertes
ereignet hätte. In der Nacht sahen die Wächter auf Mauern
und Bergfried in geringer Entfernung der Burg die Lagerfeuer der
feindlichen Kriegsleute flackern. Laute Stimmen und lärmendes
Grölen hielten so manchen Burgbewohner vom Schlaf ab.
Am
darauffolgenden Tag hatte Klein-Bernhard hohes Fieber. An eine
Abreise war nicht zu denken. Elisabeth von Husen bemühte sich
persönlich um den kleinen Kranken. Sie wählte aus ihrem
reichen Heilkräuterschatz, den sie im Sommer mit ihren Frauen
sammelte und getrocknet aufbewahrte, Blüten und Kraut von
Männertreu, Thymian und Wollkrautblüten. Daraus ließ
sie einen Tee bereiten, dem sie Bienenhonig hinzufügte. Dieses
Getränk, das sie dem Knaben schluckweise und über den Tag
verteilt einflößen ließ, sollte das Fieber senken
und den Husten lindern. Sie hieß Bertha, dem fiebernden Knaben
gleichzeitig feuchtkalte Wadenwickel anzulegen, um die Hitze aus
seinem Körper zu ziehen. Später bereitete sie eigenhändig
Umschläge mit Schweineschmalz, mit denen sie die Brust des
Kindes bedeckte, um den zähen Schleim in seinen Bronchien zu
lockern.
So
vergingen zwei weitere Tage, und unter der sorgsamen Pflege der
Frauen genas das Kind. Vor den Mauern der Burg hatte sich wenig
geändert. Nach wie vor hielt der Feind den Zugang besetzt. Hin
und wieder kamen und entfernten sich Berittene. Sie mochten
Botschaften mit sich führen und teilweise wohl auch Verpflegung
für die Belagerer. Das Wetter war unverändert schön,
wenngleich die Nächte empfindlich kühl und die Fluren des
Morgens mitunter noch mit Rauhreif beschlagen waren. Aber da der
April seine Mitte überschritten hatte, erwärmte die Sonne
tagsüber die Erde, so daß das Grün hervorschoß,
und die Hunde der Burg nutzten die kurze Zeit des frühen
Frühlings, in der sie die direkten Sonnenstrahlen angenehm
fanden und sich voll Wohlbehagen ihr Fell bescheinen ließen.
Am
Morgen des fünften Tages, Frühmesse und Frühstück
hatte man längst hinter sich, erschien der Haushofmeister Konrad
bei Dietrich. Er teilte ihm mit hölzerner Miene mit, daß
Werner von Husen ihn zu sich bitte. Sonderlich erfreut war Dietrich
nicht darüber, denn allzu frisch war ihm noch das Gebaren des
Burgherrn in der Torhalle in Erinnerung. Mißmutig folgte er dem
unfreundlichen Alten in die Große Halle, wo der Burgherr in
einem Armstuhl vor dem Feuer saß. Bei ihm befand sich Heinrich,
sein Waffenmeister.
„ Ihr
wünscht mich zu sprechen?“ sagte Dietrich knapp, ohne eine
Miene zu verziehen.
Werner
von
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