Die Klinge des Löwen 01
sagte er:
„Was soll das Gerede über das Osttor? So weit sind wir
noch nicht, daß wir es benutzen müßten!“
„ Ihr
nicht“, erwiderte Dietrich mit entschlossener Stimme. „Aber
für mich und meine Leute ist es vielleicht die rettende
Gelegenheit! Das würde auch Euch mit einem Schlag alle Probleme
vom Halse schaffen.“
Der
Burgherr sah ihn erstaunt an. „Wie soll das zugehen? Wißt
Ihr, was Euch vor dem Osttor erwartet? Zwei, drei Pferdelängen
eines kaum ellenbreiten Pfades entlang dem Abgrund. Auf der anderen
Seite setzt er sich zwar in den Wald und ins Gebirge hinein fort,
aber um dorthin zu gelangen, muß man zuerst jene neunzig Ellen*
gähnender Tiefe überwinden, die Heinrich eben erwähnte!“
[Elle
= Armlänge (etwa 60 cm]
Verdutzt
starrte Dietrich von einem zum anderen. „Wenn es ein Fluchtweg
sein soll, dann muß doch für eine Möglichkeit gesorgt
sein, die Kluft zu überbrücken?“
„ Ja,
sicher“, sagte der Waffenmeister. „Im Ernstfall wird eine
dicke Holzplanke über den Abgrund gelegt.“
Auf
den Zügen Werners von Husen malte sich Skepsis. „Selbst
wenn Ihr die Frauen und das Kind sicher über diesen
lebensgefährlichen Brückenersatz bringt - wie wollt Ihr
denn ohne Rosse fortkommen?“
„ Wie
breit ist denn so ein Brett?“
Heinrich
überlegte kurz. „Anderthalb Fuß dürfte es
messen.“
„ Dann
legen wir eben zwei dieser Planken über die Schlucht! Das dürfte
reichen, um die Rosse hinüberzubringen.“
„ Aber
- was habe ich davon, wenn ihr auf diesem Wege dem Feind entkommt?“
fragte der Burgherr gedehnt.
„ Der
Geroldsecker wird seine Mannen abziehen und Euch in Ruhe lassen, wenn
er erfährt, daß die Vögel ausgeflogen sind“,
entgegnete Dietrich kalt. „Sobald wir im Gebirge verschwunden
sind, schickt Ihr einen Parlamentär in sein Lager und laßt
erklären, daß wir längst nicht mehr da sind. Bietet
ihm an, ihn mit einigen seiner Gefolgsleute die Burg durchsuchen zu
lassen. Ich bin absolut sicher, er wird mit seiner Heerschar
abziehen, sowie er sich von der Wahrheit Eurer Behauptung überzeugt
hat.“
In
des Burgherrn Augen lag zum erstenmal ein Hoffnungsschimmer. Er
musterte Dietrich überrascht, und auf seinen Zügen malte
sich plötzlich Respekt. „Ihr habt wahrhaftig das Zeug zu
einem Heerführer - dreinhauen, wenn es not tut, listig, wo die
Lage es verlangt! Bei Gott, Ihr habt recht - so könnte es
gehen!“
Er
wirkte auf einmal vergnügt, als sei eine Zentnerlast von ihm
genommen. Seine Munterkeit kehrte zurück. Plötzlich war er
wieder der leutselige Gastgeber, dem das Wohl seiner Gäste am
Herzen liegt. Er ließ den Haushofmeister rufen und ordnete an,
daß Dietrich und die Seinen sofort mit allem zu versorgen
seien, was sie für die bevorstehende Reise über die
Schwarzwaldberge benötigten. Großzügig überließ
er ihnen zwei zusätzliche Handpferde und genügend Proviant
für Mensch und Tier.
Auch
seine Gemahlin, inzwischen über den massiven Aufmarsch feindlich
gesinnter Kräfte unterrichtet, tat nun alles, um die
gefährlichen Gäste loszuwerden. Wie ihr Gemahl hoffte auch
sie, damit den Geroldsecker zu besänftigen. Sie schenkte Ida und
der Zofe warme, pelzgefütterte Mäntel mit Kapuzen für
die immer noch kalten Nächte auf den Schwarzwaldhöhen,
einen ebenfalls pelzgefütterten Umhang für Idas Sohn,
wattierte Decken und halbhohe Stiefel aus Schafsleder, falls auf den
Höhen noch einmal Schnee fiele. Auch Dietrich, Giselbert und
natürlich ihr Sohn Roland wurden mit warmen Kleidungsstücken
ausgestattet.
Von
jenen fünf Reisigen, die Werner von Husen Dietrich ursprünglich
als Geleitschutz versprochen hatte, war allerdings keine Rede mehr.
Dietrich unterließ es bewußt, dieses Thema noch einmal
anzuschneiden. Denn das Angebot hatte ihm der Burgherr bei ihrer
Ankunft gemacht, und inzwischen hatte sich die Lage grundlegend
gewandelt. Angesichts der Gefahren, die der Burg Husen nun von außen
drohten, wurde hier vielleicht jeder Mann der ohnehin nicht sehr
starken Burgbesatzung benötigt. Außerdem hätte
Dietrich sich eher die Zunge abgebissen, als in seiner derzeitigen
Stimmung noch einmal auf das Thema zurückzukommen.
Das
bedeutete allerdings für ihn und seine Reisebegleitung, daß
sie auf dem vor ihnen liegenden gefahrvollen Weg erneut auf sich
allein gestellt sein würden.
Bald
waren die Saumrosse, jetzt drei an der Zahl, mit dem umfangreichen
Gepäck beladen. Indessen hatte Roland das Streitroß
Dietrichs und sein eigenes
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