Die Klinge: Roman (German Edition)
feingliedrig. »May Beth ist Schauspielerin. Haupt sächlich am Theater. Sie verfilmen eines meiner Bücher in Denver, deshalb habe ich ein paar Strippen gezogen und ihr geholfen, eine Rolle in dem Film zu bekommen. Deswegen war sie dort.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe das Mädchen beinahe umgebracht.«
»Nein, das stimmt nicht.«
»Sie wird jedenfalls durchkommen. Offenbar. Aber das ist nicht mein Verdienst.«
»Du solltest deswegen keine Schuldgefühle haben, Ian.«
»Es sind keine richtigen Schuldgefühle. Es tut mir nur leid. Verdammt, man muss im Leben Entscheidungen treffen, und mit jeder einzelnen davon löst man eine Kettenreaktion aus. Man beeinflusst das Leben von anderen Leuten. Auf eine Weise, wie man es nie gedacht hätte. Oder denken wollte.«
»Manchmal sind die Auswirkungen gar nicht so übel«, sagte Janet.
Er sah sie an. Ihr Gesicht war sehr nah bei seinem. Er legte den Arm um ihre Schultern, und sie schmiegte sich an seinen Hals.
»Diese Strippen, die du gezogen hast«, sagte sie. Er spürte ihren warmen Atem. »Das ist der Grund, aus dem ich jetzt hier bin, verstehst du?«
»Ich glaube schon«, sagte Ian.
Janet löste ihr Gesicht von seinem Hals und sah zu ihm auf.
Mit einer Fingerspitze zeichnete er die geschwungenen Linien ihrer Lippen und ihres Kinns nach. Dann küsste er sie. Ihr Mund war feucht und nachgiebig, und sie klammerte sich an ihn, als wollte sie, dass dieser Kuss niemals endete.
Er strich mit der Hand über ihr Rehlederhemd, fand den Hügel ihrer Brust und umfasste ihn sanft.
Sie zog sein Hemd hinten aus der Hose. Dann glitt ihre Hand darunter und streichelte ihn.
Er ließ sie los. »Wir sollten lieber nicht … äh … ich sage Lester, dass wir gehen.«
»Gut.«
»Dann fahren wir … ich weiß nicht, irgendwohin. Zu mir?«
»Das wäre schön.«
Als Ian aufstand, erhob sich auch Janet. »Noch ein Kuss«, sagte sie und kam in seine Arme.
Ian hielt sie fest, küsste sie, spürte die Kurven ihres Rückens und den verlangenden Druck ihres Körpers. Er schob sie sanft von sich. »Bin sofort zurück«, sagte er.
»Beeil dich.«
Lächelnd ging er zur Treppe. Er nahm jeweils zwei Stufen auf einmal.
Oben sah er frische Blutflecke auf dem Teppich.
Er spürte, wie sich Kälte in ihm ausbreitete.
Hinter dem feuchten Teppichstück befand sich eine geschlossene Tür.
Er trat über das Blut hinweg und klopfte. »Lester? Lester, bist du da drin?«
Ian griff nach dem Knauf.
Er ließ sich nicht drehen.
»Lester!« Er hämmerte mit der Faust gegen die Tür.
»Was ist los?«, rief Janet.
Ian trat von der Tür zurück und blickte die Treppe hinunter zu ihr. »Ich weiß nicht. Hier ist Blut, und die Tür ist abgeschlossen.«
»Oh nein. Meinst du … er hat sich was angetan?«
»Würde mich nicht überraschen …«
Bei dem Geräusch einer sich öffnenden Tür wandte er sich um.
Ein nackter, blutüberströmter Junge stürmte mit einem Fleischermesser heraus.
Als Ian zurücksprang, verlor er den Boden unter den Füßen. Er griff nach dem Geländer und verfehlte es.
Er schien lange zu fallen, ehe sein Hinterkopf gegen eine Stufe schlug.
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Entsetzt sah Janet Ian zurücktaumeln. Sie stürmte die Treppe hinauf, um seinen Sturz abzufangen, doch sie war kaum losgelaufen, als sein Kopf schon auf die mit Teppich ausgelegten Stufen prallte. Er drehte sich auf die Seite und rutschte mit den Beinen an der Wand entlang. Sein linker Arm verfing sich zwischen zwei Geländerstäben und gab ein lautes Knacken von sich.
Janet ließ sich auf die Knie fallen, warf sich über Ian und fing ihn auf. Als sie seinen gebrochenen Arm befreien wollte, hörte sie oben eine Holzdiele knarren.
Sie blickte auf.
Die nackte Haut des Jungen war über und über mit Blut bespritzt und beschmiert. Grinsend trat er auf die Treppe. An seiner Seite, neben dem erigierten Penis, hielt er ein mit der Spitze nach oben gerichtetes Fleischermesser.
Janet hatte das Gefühl, ihr würde die Luft aus der Lunge gepresst.
»Ian!« Sie schüttelte ihn.
Er reagierte nicht, lag einfach reglos auf dem Rücken.
Der Junge kam langsam die Treppe herunter.
»Ian! Wach auf!«
Nichts.
Janet packte die Schultern seines schwarzen Seidenhemds. Gebeugt ging sie rückwärts und schleifte ihn mit dem Kopf voran die Stufen hinunter. Sie hörte, wie der Hemdstoff riss. Jedes Mal, wenn seine Stiefel von einer Stufe auf die nächste fielen, erklang ein doppelter, dumpfer Schlag.
Der Junge hatte es nicht
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