Die Klinge: Roman (German Edition)
hinaufstieg.
Was für ein schrecklicher Abend, dachte er. Aber jetzt ist es vorbei. Ich muss diese Leute nie wiedersehen.
Helen vielleicht.
Nicht unbedingt. Am besten verschwinde ich einfach.
Ich kann jedenfalls mindestens eine Woche hierbleiben. Das wird schön.
Er blieb vor der Tür zu May Beths Zimmer stehen. Sein Herz schlug schneller und ließ das Blut in seinem schmerzenden Kopf pulsieren.
May Beth.
Ein Lichtschimmer von der Lampe im Flur fiel auf eine Ecke ihres Betts.
Er hatte in diesem Bett Sex gehabt, aber nicht mit ihr.
Vielleicht ist es eine Strafe.
Eine Strafe für Emily Jean, weil sie die Rolle ihrer Tochter eingenommen hat.
Eine Strafe für mich.
Es ist meine Schuld, dass sie verletzt wurde.
»Es tut mir leid, May Beth«, murmelte er in das dunkle Zimmer.
Dann ging er durch den Flur ins Bad. Er schaltete das Licht an und schloss die Tür. Im Spiegel des Arzneischränkchens sah er sein Gesicht.
Wirres Haar, bleiche Haut, müde traurige Augen … und die Cowboykrawatte.
Es sieht wirklich dämlich aus, dachte er. Kein Wunder, dass mich alle für einen Versager halten.
»Scheiß auf sie alle«, sagte er.
Ich hätte Munition mitnehmen und alle abknallen sollen.
Aber ich habe es nicht getan, dachte er. Weil ich ein feiger Schlappschwanz bin, genau wie Helen gesagt hat.
Nutzlos.
Er sah auf das Holster an seiner rechten Hüfte hinab. Es war leer.
Wer hat meinen Revolver?, fragte er sich.
Egal. Was soll jemand damit anfangen? Wo immer er auch ist, das verdammte Ding ist eh nicht geladen.
Wie ein Symbol für mein Leben, dachte er. Ich bin nicht besser als eine ungeladene Waffe.
Sein Spiegelbild glitt zur Seite, als er das Arzneischränkchen öffnete. Lester fand eine grüne Plastikflasche mit Excedrin. Er schüttete sich zwei Tabletten in die Handfläche und beschloss, dass das nicht genügen würde. Nicht gegen so schlimme Kopfschmerzen. Er kippte zwei weitere Tabletten hinterher und spülte alles mit einer Handvoll Wasser herunter.
Lester drehte den Wasserhahn zu. Er trocknete sich den Mund mit einem Handtuch ab.
Dann trat er an die Toilette und urinierte.
Als er seinen Penis zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, kam ihm Emily Jean in den Sinn.
Er dachte daran, wie sich ihre Finger, ihr Mund und ihre feuchte, enge Vagina angefühlt hatten.
Sein Penis begann, steif zu werden.
Die Lage könnte schlimmer sein, sagte er sich. Immerhin habe ich Emily Jean. Falls ich sie will.
Vielleicht auch May Beth, wenn ich richtig Glück habe.
Er zwängte seine Erektion zurück in die Unterhose, zog den Reißverschluss hoch und betätigte die Toilettenspülung. Dann wusch er sich die Hände.
Vielleicht schlafe ich heute Nacht in May Beths Bett.
Er öffnete die Badezimmertür.
Ein nackter Mann stand vor ihm. Noch fast ein Junge. Ein schiefes Grinsen verzerrte sein Gesicht.
Lester sah die Klinge kurz aufblitzen, ehe sie in seinen Bauch fuhr. Eine sehr lange, sehr breite Klinge.
Er versuchte, sie mit den Händen abzuwehren, aber er war nicht schnell genug.
Sie verschwand vollständig in ihm, und er konnte es nicht glauben, auch dann nicht, als er den glühenden Schmerz des Metalls in sich spürte und die Klinge, dunkel von seinem eigenen Blut, hinausgleiten sah.
Er konnte es nicht glauben.
Unmöglich.
Das kann nicht sein.
Er streckte die Hände aus, um nicht mit dem Gesicht auf den Boden zu schlagen, doch in seinen Armen war keine Kraft mehr.
63 DER STURZ
»Danke«, sagte Ian und legte auf.
Janet saß neben ihm auf dem Sofa, hatte seine Hand genommen und sich an ihn gelehnt, sodass er ihre Wärme spüren konnte.
Jetzt wandte sie den Kopf und sah ihm in die Augen. »Klang nach guten Nachrichten«, sagte sie.
Er nickte. »May Beths Zustand ist nicht mehr kritisch. Ihre Verletzungen werden nur noch als ernsthaft eingestuft.«
»Das sind wirklich gute Nachrichten.«
Ian ließ sich gegen die Rückenlehne des Sofas sinken. Janet lehnte sich ebenfalls an. »Sie wollten mich nicht mit ihr sprechen lassen. Verständlicherweise. Dort ist es gegen Mitternacht. Sie haben gesagt, ich solle es in der Früh noch mal probieren.«
»Sie muss dir viel bedeuten.«
»Wer? May Beth?«
Janet nickte.
»Ich bin ihr noch nie begegnet.«
»Du bist ihr noch nie begegnet?«
»Ihre Mutter ist eine gute Freundin. Emily Jean.«
»Ah.« Janet lächelte und wirkte erleichtert.
Ian nahm ihre Hand, legte sie auf sein Bein und betrachtete sie. Im Vergleich zu seiner eigenen war sie klein. Glatt und
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