Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
sogar jetzt noch, ein Jahr später, nach Rauch und Asche stanken. Der schwache, übelkeiterregende Gifthauch wirbelte beständig herauf zu meinem Sitzplatz auf Tiens neuestem Shan-Tempel – wie kommt es bloß, dass die Tempel immer als Erste zurückkehren? Im Zuge der langsam voranschreitenden Wiederaufbauarbeiten, bei denen der Schorf von einem ausgebrannten Gebäude nach dem anderen gekratzt wurde, kamen Tag um Tag neue Erinnerungen an das Feuer zum Vorschein, das die ganze Nachbarschaft gemordet hatte, und irgendwie konnten die optimistischen Gerüche von frisch gesägtem Bauholz und feuchtem Putz die gelegentlichen Anflüge von verbranntem Fleisch und verkohlten Knochen nicht wettmachen. Jedenfalls nicht für mich.
Selbst das Wissen, dass ich die Frau getötet hatte, die für das Feuer verantwortlich war, war nur ein schwacher Trost. Das konnte keinen der Toten zurückbringen. Nichts konnte das bewirken. Ich schauderte und wünschte, ich könnte Triss fester ummich wickeln oder wenigstens mit ihm reden. Aber wieder einmal erforderten die Umstände, dass er sich in den Traumzustand versenkte, der mir den maximalen Zugriff auf seine Fähigkeiten und meine Magie gestattete.
Ich fühlte mich einsam und elend, und auf emotionaler Ebene wäre es besser gewesen, hätte ich mir ein beliebiges anderes Viertel ausgesucht. Aber die Mischung aus ausgebrannten Geröllhalden, die sich zwischen allen möglichen Neubauten und provisorischen Gebäuden verteilten, schuf ein ständig in Veränderung befindliches Labyrinth, in dem es viel einfacher als anderenorts war, sogar den entschlossensten Verfolger abzuschütteln. Das hatte mir mehr als nur einmal den Arsch gerettet, während die Anzahl der Häscher in den vergangenen Tagen kontinuierlich gestiegen war.
Mindestens ein Dutzend verschiedener Gruppen und Einzelpersonen konnte ich von meinem derzeitigen Platz aus sehen, und sie alle waren auf mein Blut aus. Am bemerkenswertesten war die Elitemission unter dem Kommando von Major Aigo, der vorübergehend einen wohlhabenden Händler aus seinem neuen Herrenhaus ausquartiert und dort sein Lager aufgeschlagen hatte.
Nichts Offizielles verriet, dass das Gebäude der Elite gehörte, aber der stete Strom der Krongardisten, die in Zivilkleidung zu jeder Stunde des Tages hinein- und hinausliefen, war unmissverständlich. Ich bin nicht sicher, was diese militärischen Gehirne zu der Annahme treibt, Soldaten in Zivilkleidung zu stecken würde auch die pfeilgerade Haltung, die Narben früherer Kämpfe und die hoch trainierten Muskeln unsichtbar werden lassen. Ich weiß nur, dass ich dergleichen immer wieder gesehen habe.
Die offizielle Krongardistentruppe hatte ein zu drei Viertel fertiggestelltes Wohngebäude, ein paar Hundert Meter die Straße hinauf, mit Beschlag belegt, und es war besonders lustig,zuzusehen, wie die von ihren Uniformen befreiten Gardisten demonstrativ ohne zu salutieren an ihren Offizieren vorbeigingen. Die Kopfjäger gingen vorsichtiger zu Werke. Die meisten hatten sich ein Zimmer in einem nahen Gasthaus genommen oder sich in einem ausgebrannten Keller eingenistet. Die Anzahl echter Zivilisten war seit dem zweiten Tag stetig gesunken. Die meisten Laternen, die jetzt noch dort unten auf den Straßen zu sehen waren, gehörten der einen oder anderen Faktion meiner Häscher.
So ungefähr die einzigen Lichter, die nicht zu irgendwelchen Leuten gehörten, die dem König meinen Kopf verkaufen wollten, waren die grünen Lampen derer, die stattdessen ihre Ärsche an die Jäger verhökerten. In Anbetracht des Wesens dieser neuen Nachbarn dürfte es für das Sexgewerbe da unten eine Menge zu tun gegeben haben. Was mich daran erinnerte, dass es an der Zeit war, meinen eigenen Arsch mal wieder herumzuzeigen.
»Wie sieht meine Route aus?«, flüsterte ich in den Wind.
»Warte zwei Minuten, nachdem du das hörst, und dann geh«, flüsterte der Wind zurück.
Die Fähigkeit des Qamasiin, Worte durch die halbe Stadt zu blasen, war für unsere kleine Operation recht nützlich. In diesem Fall hörte sich der Wind auffallend nach Hera an, die unten auf der Straße stand und eine grüne Laterne mit einer aufwendigen Gravur trug, deren Schattenwurf andeutete, dass das, was sie anzubieten hatte, sehr speziell und sehr kostspielig war.
Das half ihr, die Zahl der abzuweisenden Kunden auf ein Minimum zu begrenzen, aber Stal, die die Rolle einer Kopfjägerin übernommen hatte, musste dennoch einspringen und ihrer Paargefährtin helfen,
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