Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
Kothmerk war. Ohne dieses Wissen würde es verdammt schwer werden, diese Sache durchzuziehen, und ich durfte auch nicht zu offensichtlich im Trüben fischen. »Na ja, ich habe ihn nicht wirklich gesehen …«
Was immerhin die Wahrheit war – wann immer man Lügen spinnt, ist es das Beste, so dicht bei der Wahrheit zu bleiben wie möglich. Man stolperte einfach nicht so leicht, wenn man die Dinge möglichst einfach gestaltete, und nichts ist einfacher als die Wahrheit.
Der Durkoth griff auf, was ich erhofft hatte. »Aber du glaubst, sie hat ihn, nicht wahr? Das kann ich erkennen.« Noch mehr Ungeduld und ein Hauch von Eifer.
Was immer das also war, eine Person konnte es verborgen bei sich tragen. Demnach war es klein genug, in eine Tasche zu passen. Was konnte ich sonst noch aus ihm herauslocken?
»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Sie wirkte ziemlich nervös. Vielleicht hat sie ihn in einem Versteck zurückgelassen.«
»Nein.« Tonlos und kalt. »Wenn sie ihn wiedergefunden hat, dann lässt sie ihn nicht mehr aus den Augen. Nicht nach dem schlimmen Versagen, das sie sich zuvor geleistet hat. Wo ist sie jetzt? Sag es mir! Wenn du mir helfen kannst, sie zu fangen, bist du ein freier Mann.«
»Wenn ich Euch das verrate, was sollte Euch dann davon abhalten, mich zu töten?«
»Gar nichts. Du hast in diesem Punkt keinerlei Macht … Arg! Was?«, fragte er, und plötzlich klang seine Stimme rau und angespannt. »Wie machst du das?«
Plötzlich rückten die Wände erneut näher, drückten mir mein Bündel in den Rücken und trieben mir die Luft aus der Lunge. Weiße Flecken fingen an, die Ränder meines Blickfelds zu zerfressen.
»Hör auf, oder ich zerquetsche dich!«, krächzte der Durkoth.
Ich wollte ihm sagen, dass ich mit Freude beenden würde, wasimmer da vorging, wenn ich nur könnte, dass ich aber nicht den Atem dazu hätte. Ich hatte für gar nichts mehr genug Atem.
Dann hörte ich ganz schwach in dem Brausen in meinen Ohren Triss’ Stimme: »Wenn er stirbt, stirbst du auch. Lass von ihm ab. Sofort.«
»Ich weiß nicht, was du bist, Vertrauter, aber wenn ich deinen Meister töte, stirbst du auch, und damit bin ich wieder frei.«
»Nein«, sagte Triss. »Ich habe meinen Entschluss gefasst, meine Absicht ist fest in mir verankert. Ich werde dich köpfen, während ich sterbe. Alle verlieren.«
»Dann soll es so sein«, entgegnete der Durkoth. »Mein Leben ist ohne Bedeutung.«
4
M ein Leben ist ohne Bedeutung«, wiederholte der Durkoth. »Es ist nichts, verglichen mit meiner heiligen Pflicht gegenüber dem Kothmerk … aber ich kann ihn nicht finden, wenn ihr mich tötet.«
Und so plötzlich, wie er gekommen war, ließ der Druck um mich herum nach, und ich konnte wieder atmen. Mir war nicht klar, dass ich angefangen hatte, mich zu bewegen, bis die Nacht sich um mich herum öffnete, und die Erde mich sehr sanft auf die Straße spuckte.
Qethar saß absolut regungslos auf der Treppe des alten Wohnhauses. Hätte ich nicht gewusst, was er war, ich hätte ihn für ein höchst bizarr platziertes öffentliches Kunstwerk gehalten. Ein Meisterwerk von Chang Un, unbewacht in einer der schlimmsten Jauchegruben der Stadt.
Qethars Miene war grausam und hart und bildete einen scharfen Kontrast zu seiner entspannten, beinahe trägen Pose. Er hatte den Oberkörper zurückgelehnt und stützte sich auf den Ellbogen ab, als wäre er darauf vorbereitet, für lange Zeit die Straße im Auge zu behalten. Er trug eine lockere Hose aus fließendem Stoff und ein ärmelloses Hemd, das der Sommeruniform der Leute in Tien entsprach. Dabei schien es, als wäre jedes Detail mit geradezu unfassbarer Sorgfalt in weißem Marmor ausgearbeitet worden, nun, da er den Mantel abgelegt hatte und das Gesamtbild offen zutage trat. Dieses Kleidungsstück lag nun auf den derben Planken wie ein gemeißeltes Totenhemd. Seine nackten Füße standen fest auf einem Häufchen Erde, das mitten auf den Ziegelsteinen hockte wie eine versunkene Insel.
Ich stellte mir die Inschrift zu der Scheinskulptur vor, die etwas in der Art besagen würde wie: »Der Gott der dunklen Leidenschaften beobachtet das Sterben einer Jungfrau«. Oder irgendetwas ähnlich Verstörendes. Das Einzige, was das Bild der Statue trübte, war der dünne Streifen vollkommener Finsternis, der sich wie eine schattige Schlinge um den Hals eines Gehängten unter seinem Kinn entlangzog und dessen Ende herabbaumelte und in einer der Ritzen der Veranda verschwand.
In der
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