Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
meine Wange schmerzte. »Ist sie immer so?«
»Du hast ja keine Vorstellung. In der Schule haben ihr die anderen Dyaden jede zweite Nacht einen Schlafzauber verpasst. Kessheit gehört nicht zu den Standardvorgehensweisen unserer Art. Nicht einmal HaS kann sie immer unter Kontrolle halten. Au!«
»Was?«, fragte ich.
»Sie hat sich gekniffen, als ich es nicht erwartet habe. Das ist einfach gemein, Hera.«
»Aber Geschichten über meine Schulzeit ausplaudern nicht, ja? Komm, ich helfe dir.« Es raschelte leise, als die Dyade ihre zweite Hälfte aufrichtete, ehe sie zu mir kam. »Jetzt bist du dran, Aral.«
Sie streckte ihre kleine Hand aus, um meine zu ergreifen, und zog mich mit einer Leichtigkeit auf die Beine, mit der ich nicht gerechnet hatte, obwohl ich wusste, wie gut sie in Form war. Siewar so klein, es war kaum zu glauben, wie stark sie trotzdem war. Allerdings hätte ich in Anbetracht meiner zurückliegenden Erfahrungen mit Jax nicht überrascht sein sollen. Sie hatte mir auch schon einmal das Leben gerettet.
Nun erinnerte ich mich an ferne Küsse und ertappte mich beinahe gegen meinen Willen dabei, das Gefühl mit dem zu vergleichen, das Heras Lippen auf meinen ausgelöst hatten – die Magie eines Zaubers mit der Magie der ersten Liebe … errötend schüttelte ich den Kopf. Das war kein fairer Vergleich. Beiden Frauen gegenüber.
Zu viert gingen wir den Landungssteg hinauf zur Küste. Im gegenseitigen Einverständnis beschlossen wir, zunächst eine Taverne zu suchen und uns etwas zum Trinken zu verschaffen, um so viel wie möglich wegzuspülen von dem … Zeug, das wir alle geatmet hatten. Ebenfalls einstimmig – mit einer Enthaltung von Triss – beschlossen wir, das Getränk sollte stark genug sein, um sterilisierend zu wirken. Im Hafengebiet kamen wir an vielen Leuten vorbei. Die meisten trugen abgedeckte Magierlampen und taten, als würden sie uns gar nicht sehen.
Wir erwiesen ihnen die gleiche Höflichkeit, schließlich befanden wir uns in Schmugglersruh. So hielt man sich von Konversationen fern, bei denen Knüppel und Dolche die Grußformeln ersetzten. Weiter landeinwärts begegnete uns ein etwas seriöseres Publikum mit Lampen, deren Blenden geöffnet waren.
Die meisten Lampen leuchteten gelb oder weiß, je nachdem, ob die Eigner sich Magierlampen leisten konnten, oder auf Feuer und Öl angewiesen waren. Aber es gab auch einige Laternen, deren grellgrüne Verglasung ihre Träger als verhandlungsbereit hinsichtlich ihrer Keuschheit auswiesen. Ein paar Laternen waren recht kunstvoll verziert mit filigranen Linien, die ein kompliziertes Schattenmuster erzeugten, das den Gewiefteren verriet, dass ihr Träger den … eher exotischen Spielarten zugetan war. Etliche dieser Personen schwangen ihre Laternen in weitemBogen, auf dass ihr Lichtschein einladend auf unsere Füße und Beine fiel, als wir vorübergingen.
Es waren gerade genug Arme und Waghalsige unterwegs, dass wir mit unserem Mangel an Licht nicht gar zu außergewöhnlich erschienen. Ich hatte zwar eine kleine Diebeslampe in meinem Trickbeutel, aber niemand trug die offen mit sich herum. Kurz überlegte ich, ob ich ein temporäres Licht auf einen Stein beschwören sollte, doch den hätte ich auch offen tragen müssen, und das wäre noch ungewöhnlicher gewesen.
Vor der ersten eindeutig als solche erkennbare Taverne, die wir fanden, beleuchteten zwei Fackeln ein Schild mit einem tangverkrusteten Steuerrad. Hera ging zuerst hinein – geradewegs zum Tresen, um eine Bestellung aufzugeben, ehe sie sich wieder umwandte – Stal und ich folgten ihr. Wir nahmen an, es dürfte kein Problem sein, wenn wir uns bei diesem einen, kurzen Besuch gemeinsam sehen ließen.
Als wir durch die Tür traten, keuchte Stal leise auf und sagte in Heras Tonfall: »Aral, du hättest mir sagen sollen, wie schlimm dieser Feuerdorn dich erwischt hat.«
Dann ergriff sie meinen Arm, wirbelte mich herum und schob mich unversehens wieder zur Tür hinaus. Kaum waren wir draußen, zerrte sie mich von der Straße in eine schmale Lücke zwischen zwei Gebäuden.
»Was hast du vor?«, fragte ich.
»Die Hälfte deines Gesichts sieht aus wie ein Albtraum. Blut und Schlamm und Brandblasen. Ehe wir in das Licht da drinnen gekommen sind, konnte ich es nicht sehen, aber bei den heiligen Zwillingen, Aral! Du musst heftige Schmerzen haben. Und dabei habe ich die Vorderseite deines Hemds noch gar nicht einbezogen, denn das ist auch nur noch ein verkohlter
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