Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
hatte.
Die Antwort auf diese Frage war das, was ich als Nächstes finden musste. Ich musste die Dyade aufspüren und befreien, so schnell ich nur konnte, aber das war unmöglich, solange ich nicht wusste, wer sie gefangen hatte und warum. Bis dahin würde ich mich zwingen müssen, meine Sorge um sie zu unterdrücken und in meinem Hinterkopf wegzusperren. Ich hatte keine andere Wahl. Ob rechtschaffen oder nicht, inzwischen bedeutete mir die Dyade etwas, ganz besonders Hera, und ich hatte ihr Vertrauen enttäuscht.
Wenn es mir nicht gelang, das vorerst beiseite zu schieben, mochten Schuldgefühle und Ablenkung mich umbringen, und das würde ihr auch nicht helfen. An der Stelle, an der der Kanal sich in den Zienfluss ergoss, fummelte ich meinen Dolch heraus, schwamm zu einer Schute, die flussaufwärts in die Richtung des Palastviertels und Feis Amtsstube unterwegs war, und konzentrierte mich voll und ganz darauf, was ich als Nächstes zu tun hatte und nicht länger auf das Warum.
Hinauszuschwimmen in den Fluss war zunächst eine Erleichterung. Tien hatte eine gute Kanalisation und harte Strafen für deren Nichtbenutzung, trotzdem kippten die Leute von Zeit zu Zeit immer noch ihren Müll und ihre Nachttöpfe ins Wasser. Im Fluss wurde der Dreck rasch von der Strömung auf das Meer hinausgespült, aber das Wasser in den Kanälen war ruhig und träge. Dort sammelte sich der Schmutz und verbreitete einen widerlichen Gestank.
Im Sommer heizte die Sonne die Kanäle auf, bis das Wasser so warm war wie Blut, und diese Hitze hatte sich mit meiner Erschöpfung zusammengetan und meinen Kopf mit Spinnweben gefüllt. Folglich empfand ich das kältere Flusswasser zunächst als wohltuend, machte es mich doch endlich wieder richtig wach. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich schon eine ganze Weile im Wasser, und es dauerte nicht lange, bis die Kälte in meine Muskulatur sickerte und Schmerz und tiefes Schaudern mit sichbrachte. Eine Ironie, so sehr zu frieren, obwohl die sommerliche Hitze kaum einen Fuß entfernt war, gleich auf der anderen Seite der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft.
Auch wenn Triss immer noch tief unten in dem Traumzustand verweilte, in den die diversen magischen Großtaten, welche uns die Flucht gestattet hatten, ihn gezwungen hatten, konnte ich doch seine zunehmende Ungeduld spüren. Es geschah nur selten, dass ich ihn so lange meiner Kontrolle unterwarf, aber wir waren immer noch zu sehr in Gefahr, als dass ich meinen direkten Zugriff schon jetzt hätte aufgeben wollen. Ich versuchte, ihm in Gedanken eine besänftigende Botschaft zukommen zu lassen, wusste aber nicht mit Gewissheit, ob ich zu ihm durchdringen konnte. Die Verschiedenartigkeit des Bewusstseins von Finsterlingen und ihren menschlichen Begleitern war dergestalt, dass wir im Grunde gezwungen waren, uns während des größten Teils unserer Kommunikation auf das gesprochene Wort zu verlassen, eine Tatsache, die die Zauberer meines Ordens jahrhundertelang frustriert hatte.
Nur noch ein bisschen länger, mein Freund, dachte ich. Nur noch ein bisschen. Aber natürlich erhielt ich keine Antwort. Ich klopfte mir selbst auf die Schulter, getrieben von der vagen Hoffnung, dass er die besänftigende Geste irgendwo dort unten in den Tiefen meiner Träume spüren konnte, aber ich glaubte selbst nicht recht daran.
Als die Schute den Palasthafen einige Hundert Meter hinter sich gelassen hatte, löste ich mich von dem Wasserfahrzeug und schwamm an das westliche Ufer, ungefähr eine halbe Meile unterhalb von Westbrücke. Der Fluss hatte hier den Fuß des Palasthügels abgetragen und das unterirdische Grundgestein bloßgelegt, das sich zu steilen Klippen auftürmte, die die Anwesen oberhalb des Palastkomplexes davor schützten, einfach hinunter ans Flussufer zu poltern. Es war nicht ohne Risiko, als ich im hellen Tageslicht an dem düsteren Kalkstein emporkletterte, aber ich verließ mich darauf, dass ich durch den Schatten höchstens von einem überaus aufmerksamen Beobachter gesehen werden konnte.
Da keinerlei Geschrei ertönte und auch kein Begrüßungskomitee auf mich wartete, als ich an der niedrigen Mauer emporglitt, die die Klippe krönte, und über den Rand schaute, musste es wohl funktioniert haben. Diese Mauer begrenzte das Anwesen der Herzogin von Tien, der nominellen Herrscherin der Stadt. Obwohl sie am Rande einer dreißig Meter hohen Klippe erbaut war, hatte jemand aus dem herzoglichen Stab dafür gesorgt, dass die Sicherheitsmaßnahmen an der
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