Die Klinge von Namara: Roman (German Edition)
schaute durch die Kellerfenster in die wandschrankgroßen Räume der weniger bedeutenden Offiziere, bis ich gefunden hatte, wonach ich suchte. Das Schloss zu knacken und mich durch das Fenster zu winden, war ein Kinderspiel – niemand bricht in eine Amtsstube der Garde ein. Besonders nicht in eine, die mitten auf einem bewachten Anwesen liegt und nur unregelmäßig genutzt wird.
Kaum waren wir sicher im Innern, glitt Triss von meiner Haut, breitete sich kurz wie eine schwarze Lache auf dem Boden aus, nahm wieder seine Drachenform an und bezog Position, um die Tür zu bewachen. Dabei flatterte er ärgerlich mit den Flügeln. Da es ihm unmöglich war, in seiner umhüllenden Form wirklich mit mir zu kommunizieren, war dies seit dem Angriff im Gelbklee die erste Möglichkeit für uns. Triss war über das Geschehen sichtlich wütend.
»Hättest du die Güte, mir zu sagen, wie dein Plan aussieht?«, grollte der kleine Drache leise. »Oder ist das von meinem Bundesgefährten schon zu viel verlangt?«
»Tut mir leid, Triss. Wirklich. Erst hatte ich gar keinen, abgesehen davon, da wegzukommen. Dann, als ich angefangen habe, über die nächsten Schritte nachzudenken, war ich in einer Lage, in der ich nicht mit dir reden konnte, so gern ich es auch getan hätte. Unter Wasser sind die Kommunikationsmöglichkeiten nun einmal ziemlich beschränkt, wie ich feststellen musste.«
Triss hörte auf, mit den Schwingen zu wedeln, legte den Kopf auf die Seite und musterte mich zweifelnd. »Wenn ich es nicht besser wüsste, dann hätte ich geschworen, dass du nun schon zum zweiten Mal in ebenso vielen Tagen versucht hast, einen Scherz zu reißen.« Dann schüttelte er sich. »Aber glaub nur nicht, dass du damit vom Haken bist, mein Freund. Was machen wir auf dem Anwesen der Herzogin von Tien?«
»Wir müssen Hera und Stal befreien«, sagte ich. »Das bedeutet, wir müssen herausfinden, wer sie geschnappt hat. Da war eine Elitepräsenz im Gelbklee, wenn auch nur eine geringe, und sie haben die Garde herbeigepfiffen, kaum dass ich durch die Maschen geschlüpft bin. Das deutet auf einen offiziellen Hinterhalt hin, und das bedeutet, dass man uns eine Falle gestellt hat, auch wenn ich nicht sicher bin, ob Fei oder Zishin dahinterstecken. Was wiederum bedeutet, dass ich mich mit einem oder beiden unterhalten muss. Ich weiß nicht, wo Zishin lebt, und sollte Fei dafür verantwortlich sein, dann ist sie klug genug, nicht nach Hause zu gehen.«
»Soweit komme ich mit, aber der Sprung dahin, zu verstehen, warum es eine so gute Idee sein soll, in das Anwesen der Herzogin von Tien einzudringen, ist immer noch ziemlich groß.«
»Wäre Fei dafür verantwortlich, so würde sie sich in ihrerAmtsstube verkriechen und sich mit einem ganzen Wespenschwarm umgeben. Da mein Gesicht auf Fahndungsplakaten überall in der Stadt zu sehen ist, dachte ich mir, ich täte gut daran, mir eine Tarnung zuzulegen, ehe ich versuche, mich in das Gardehauptquartier zu schleichen.«
»Was uns warum genau in diesen Raum hier bringt?«
Ich zeigte auf ein kleines Seidenkissen, das unauffällig auf einem hohen Regalbrett über der Tür lag.
»Ich kann dir immer noch nicht folgen.«
»Der Leutnant, dem dieses Büro gehört, verwahrt hier ein echtes Kissen, und ein teures noch dazu, dem Aussehen nach zu schließen. Der einzig vorstellbare Grund dafür, so etwas zu tun, ist, dass er gelegentlich hier schläft. Nicht nur schlummert. Was bedeutet …« Ich öffnete den kleinen Schrank hinter dem Schreibtisch, griff hinein und nahm eine säuberlich zusammengefaltete Gardeuniform aus einem der Fächer.
Hinter ihr entdeckte ich eine kleine Flasche Branntwein. Mein Magen gurrte bei dem Anblick wie eine paarungswillige Taube, und an meinem Haaransatz bildeten sich kühle Schweißperlen, als ich mir vorstellte, ich würde einen tiefen, süßen Schluck davon genießen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Triss.
Ich nickte, denn meinem Mund, der plötzlich staubtrocken war, traute ich nicht recht zu, die passenden Worte auszuspucken. Meine Hände zitterten, als ich die Uniform nahm, um mir anzusehen, ob die Größe passte. Etwas groß, aber nicht zu groß, um Misstrauen zu erwecken. Das war das Wichtigste. Einer der Vorzüge daran, nur mittelgroß für einen Mann und von nicht minder durchschnittlichem Körperbau zu sein, war, dass mir die meisten Kleidungsstücke einigermaßen passten. Rechnete man dann noch dazu, dass Tieneser dazu neigten, lockere, fließende Gewänder zu
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