Die Klinge
eine Weile am See entlang«, sagte Tweed und schaute auf die Uhr. »Bald fahren wir über eine große Straßen- und Eisenbahnbrücke, von der aus Sie in der Ferne den Monte Brè noch einmal sehen können.«
Tweed hatte noch nicht richtig zu Ende gesprochen, als der Zug bereits nach links schwenkte und auf eine lange Brücke fuhr. Paula schaute übers Wasser und sah in der Ferne noch einmal die Lichter von Lugano, die weit hinauf auf den Monte Brè reichten. Es war ein überwältigender Anblick. Bald hatte der Zug die Brücke überquert, und der Ausblick war vorbei.
»Von jetzt an ist die Fahrt ziemlich langweilig«, sagte Tweed zu Paula, die in dem gut geheizten Waggon endlich ihren Pelzmantel ausgezogen hatte. »Und erwarten Sie sich bloß nicht zu viel von Chiasso. Es ist nichts weiter als ein großer Eisenbahnknotenpunkt.«
Paula setzte sich wieder hinüber zu Newman, wo sie noch eine Weile einen guten Blick auf den See hatte. Als auch der verschwunden war, verbarg sich der Mond hinter dichten Wolken, als hätte er lediglich den schönsten Teil der Strecke beleuchten wollen. Jetzt kehrte Paula endgültig auf ihren alten Platz zurück.
»Falls es in Chiasso Ärger geben sollte, können wir uns sicher auf Beck verlassen«, sagte sie.
»Er hat die halbe Kantonspolizei dort zusammengezogen. Aber Sie sollten jetzt lieber Ihren Mantel wieder anziehen, Paula, wir sind gleich da.«
Der Zug wurde langsamer, und vor dem Fenster erschien ein Bahnsteig mit dem Schild CHIASSO. Paula war noch nie ein derart trauriger, menschenleerer Bahnhof untergekommen. Sie fragte sich zudem, warum sie sich nach dieser wunderschönen Fahrt schon wieder so nervös fühlte.
37
Kann es einen noch trostloseren und deprimierenderen Bahnhof geben als diesen?, fragte sich Paula, während sie den langen Bahnsteig entlangging. Sogar das graue, schmutzige Dach war undicht. Marienetta hatte Recht, der Grenzbahnhof lag tatsächlich in einem bedrückenden Talkessel.
Erst als sie die Kurve des Bahnsteigs hinter sich hatte, entdeckte Paula den ersten uniformierten Eisenbahner sowie Männer in weißen Schutzanzügen, die Sauerstoffflaschen aus einem Güterwaggon luden. Einer der Männer hielt eine Art gläserne Pipette in der Hand, während er mit der anderen Hand den Verschluss einer Sauerstoffflasche aufschraubte. Ein zischendes Geräusch zeigte an, dass der Inhalt in die Pipette entwich, die der Mann in den Hals des Zylinders gedrückt hatte. Eilig schraubte er den Verschluss wieder zu, hielt die Pipette in die Höhe und betrachtete prüfend deren Inhalt.
Arbogast, der noch immer seinen dicken Pelzmantel trug, stand daneben und beobachtete alles. Paula hatte eigentlich erwartet, dass er ein zerknittertes Gesicht machen müsste, stattdessen wirkte er aber fast amüsiert.
»Na, was habe ich gesagt? Wieder kristallklar«, meinte er voller Genugtuung. Lächelnd drehte er sich zu Paula um. »Hätte sich das Gas in der Pipette verfärbt, hätte die Sache schon etwas anders ausgesehen.«
»Giftgas, so ein Unfug«, knurrte Broden, der neben ihm stand. »Jeder halbwegs vernünftige Mensch würde die
Überprüfung jetzt abbrechen und die Ladung passieren lassen.«
»Die Schweizer sind nun mal gründlich«, erwiderte Arbogast gerade, als Beck plötzlich auftauchte. »Sehr gründlich sogar«, wiederholte er und starrte Beck böse an. »Deshalb brauchen sie auch so lange, um ihre Uhren zusammenzubauen.«
»Wir überprüfen nur verdächtige Ware«, antwortete Beck.
»Und wieso sind ausgerechnet diese Sauerstoffbehälter verdächtig?«, wollte Roman Arbogast mit einem leichten Anflug von Sarkasmus in der Stimme wissen. »Doch nur, weil einer meiner Konkurrenten Gerüchte gestreut hat. Haben Sie das noch nicht begriffen? Einem anderen Gerücht zufolge sollen Sie der Chef der Schweizer Bundespolizei sein.«
»Das ist ein Gerücht, das ausnahmsweise stimmt. Diese Sauerstoffflaschen sollen nach Kairo gehen, heißt es.«
»Was heißt hier ›sollen‹?« Arbogast packte die Wut, und er trat einen Schritt auf Beck zu. »Jetzt hören Sie mir mal gut zu. Sie haben offenbar keinerlei Ahnung von internationalem Handel. Die Ägypter benötigen den Sauerstoff für ihre Krankenhäuser, weil das Zeug, das sie selbst produzieren, nicht rein genug ist. Typisch für diese Araber, aber zum Glück gibt es ja uns. Blicken Sie jetzt durch, Mr. Chef der Bundespolizei?«
Nachdem er seinem Ärger Luft gemacht hatte, entfernte sich Arbogast ein Stück, als ob ihm ein zu enger
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