Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
irgendetwas tun musste. Aber unfähig zu begreifen, was da gerade geschah, stand sie nur wie angewurzelt da. Ihr Vater wollte sie umbringen. Ihr Vater.
Es folgten eine verschwommene Bewegung und ein Stöhnen. London begriff erst, was vor sich ging, als sie sah, wie Bennett ihrem Vater die Schulter gegen die Brust rammte. Der alte Mann erschrak und fand keine Zeit, sich zu verteidigen. Er ließ die Waffe fallen und stolperte rücklings über die Reling. Sie hörte ein Platschen und einen Schrei.
Bennett beugte sich weit über die Reling, folgte ihrem Vater jedoch nicht ins Wasser. Ohne ihren Vater noch eines Blickes zu würdigen, drehte er sich um. »Nichts wie weg hier«, sagte er zu Kallas.
Während Athene und Bennett sich um die Segel kümmerten, lichtete Kallas den Anker und lenkte das Kaik von dem beschädigten Dampfer fort. London konnte sich nicht rühren. Nur gedämpft hörte sie, wie Männer mit einem anderen Ruderboot ihrem Vater zu Hilfe eilten und ihn aus dem Wasser zogen.
Sie spürte sachte die Bewegung des Kaiks, das sich rasch von der Insel des Kolosses entfernte. Wind und Sonne, das Schaukeln des Bootes – das alles nahm sie wie aus weiter Ferne wahr. Erst als die Insel sowie ihr Vater und die Erben weit hinter ihnen lagen, konnte London sich wieder bewegen. Mit bleischweren Schritten ging sie auf den Achterdeckaufbau zu. Sie wusste nicht, wohin sie wollte, und fühlte sich wie von einer Eisschicht überzogen.
Bennett kam zu ihr, legte die Arme um sie und zog sie an sich. Er war warm. So warm, dass sie zu tauen begann. Er wiegte sie sanft in seinen Armen.
»Nicht weinen, Liebes«, flüsterte er.
Er berührte ihre Wange, und als er seine Hand wegnahm, war sie nass. »Ich habe es nicht wirklich geglaubt. Bis jetzt. Insgeheim habe ich gebetet, dass sich alles noch fügen möge.« Ihre Kehle brannte. Es schmerzte zu sprechen, doch sie konnte nicht aufhören. »Er will mich umbringen, Bennett. Mein eigener Vater will mich ermorden.«
Tief besorgt blickte Bennett auf sie herab und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Es tut mir leid. Es tut mir so furchtbar leid.«
Sie vergrub ihr Gesicht an seiner breiten Brust und ließ sich von ihm trösten. »Ich bedauere meine Entscheidung nicht«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme, während sie sich fest an ihn drückte. »Wenn ich mich noch einmal entscheiden müsste, würde ich es wieder genauso machen. Aber es tut so verdammt weh.«
»Gib mir deinen Schmerz, Liebes«, sagte er und drückte sie an sein ruhig schlagendes Herz. »Ich nehme ihn dir ab.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, diesen Schmerz muss ich selbst aushalten. Ich brauche ihn«, sie rang nach Luft, »um Kraft daraus zu schöpfen.«
* * *
So knapp wie möglich berichteten London und Bennett, was der Koloss ihnen gesagt hatte. Sie versammelten sich zur Beratung ums Steuer. Das lenkte London ein klein wenig von ihrem Schmerz ab. Sie musste weitermachen, um die Quelle zu finden und ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Denn sie hatte alles verloren, was bislang für sie von Bedeutung gewesen war.
»Der Schwarze Tempel«, überlegte Kallas. »Obwohl ich viele Seefahrergeschichten kenne, habe auch ich noch nie von diesem Tempel gehört.«
»Wir müssen einen Weg finden, um ihn zu orten«, sagte Athene.
»Ja«, pflichtete London ihr bei. »Mich beunruhigt allerdings, dass die Erben uns immer wieder aufstöbern.« Ihr Vater war für sie jetzt nur noch ein Erbe. Sie musste lernen, so von ihm zu denken.
»Ich habe nicht gesehen, dass uns Vögel gefolgt wären.« Bennett lehnte an der Reling und hatte die Arme über der Brust verschränkt. »Aber es muss etwas mit Magie zu tun haben. Nur wir waren in der Lage, die Hinweise zu finden und ihnen zu folgen.«
»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, welche Magie sie benutzen«, meinte Athene. Sie ging unter Deck und kehrte kurz darauf mit einem roten Seidenbeutel zurück. Dann streckte sie die Hand aus und schüttete den Inhalt des Beutels in ihre Handfläche. »Das ist Sand von der Insel, auf der sich Demeters Quelle befindet«, erklärte sie. »Ihm wohnen die heiligen Kräfte der Göttin inne.«
Die Hexe wedelte mit der anderen Hand über den Sand und sang leise vor sich hin: »Mutter der Ernte, führe uns. Enthülle uns die listigen Kniffe unserer Feinde, der Ausbeuter der Magie. Damit wir deine magischen Geschenke vor ihnen schützen können.«
Begleitet von einem leisen Flüstern begann sich der Sand in einem winzigen
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