Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
London und Bennett an der Kirche vorbei und weiter durch ein Feld mit Sträuchern und rosafarbenen Wildblumen. An Land knallte die Sonne erbarmungslos auf die Erde. Die Luft kochte. Eine Schweißperle rann zwischen Londons Brüsten hindurch, auf ihrem Rücken bildete sich ein feuchter Film. Schwimmen klang verlockend, doch ihr war klar, dass ihnen keine Zeit zum Verweilen blieb. Im Geiste sah sie ständig das Gesicht ihres Vaters vor sich, seinen erschrockenen ungläubigen Blick, als sie davongesegelt war. Er suchte nach ihr. Sie wusste nicht, ob er als Retter von eigenen Gnaden oder als Rächer kam, aber sie kannte ihn: Sein eiserner Wille war beispiellos. Kein Mann verfolgte seine Ziele und seine Ideale hartnäckiger als Joseph Edgeworth.
London stolperte über einen Stein, doch Bennett fing sie auf, während er zugleich mit den Krügen jonglierte. »Ach, Mist«, schimpfte sie. »Ich kann mich in einem Rock nicht richtig bewegen.«
Bennett richtete sie auf. »Ich trage dich.«
Sie schüttelte den Kopf. »Und die Krüge? Den ganzen Weg zum Fluss? Nein. Ich muss schon selbst gehen. Aber«, fügte sie im Weitergehen hinzu, »ich verstehe jetzt, warum die Reformer sich für Frauenhosen einsetzen. Es ist unmöglich, irgendetwas zu unternehmen, wenn sich einem ständig ein Kleid um die Beine wickelt.«
»Du wirst ja noch richtig radikal.«
»Das liegt an meiner zügellosen Gesellschaft.«
»Nicht zügellos. Frei.«
Der Mann im Dorf hatte die Wahrheit gesagt. Bald fanden sich Bennett und London in einem Olivenhain wieder. Einige der Bäume waren jung und schlank, andere nach jahrelangem Wachsen verzweigt und ausladend. Ihre knorrigen Äste ragten in den Himmel. Die silbrigen Blätter warfen Schatten auf die Erde und raschelten im Wind. London strich mit der Hand über die zerfurchte Rinde eines älteren Baums, der mit seinen zahlreichen Löchern fast wie eine Bienenwabe wirkte. Als eine kleine Eule verdutzt aus ihrer Höhle lugte, fuhr London überrascht zurück.
»Athene behält uns im Auge.« Bennett grinste und zog sie weiter.
»Die Klingen der Rose lassen Frauen in ihren Reihen zu«, nahm London den Faden auf. »Die Erben nicht.«
Er nickte. »Wir sind eben unritterliche Flegel, die ihre Frauen ohne zu zögern dem Kanonenfeuer ausliefern.«
»Findest du es denn falsch, Frauen zu beschützen?«
»Kein Mann möchte, dass eine Frau verletzt wird. Aber wenn eine Frau für eine Sache kämpfen will, dann sollte das ihre Entscheidung sein.«
Entscheidung. Während sie mit Bennett durch diese Kathedrale aus Olivenbäumen schritt, dachte London über das Wort nach. Sie hatte noch nie in ihrem Leben etwas entschieden. Das hatten stets andere für sie getan. Als Kind bestimmten ihre Eltern, ihr Kindermädchen und ihre Gouvernante die Regeln. Als sie älter wurde, begleitete ihre Mutter wachsam jeden ihrer Schritte auf dem Weg in die Gesellschaft – welche Kleider sie trug, auf welche Bälle sie ging, mit welchen jungen Damen sie Freundschaften pflegte. Auch Londons Verehrer wurden sorgfältig ausgewählt. Als Lawrence bei ihrem Vater um ihre Hand anhielt, wurde sie angewiesen, seinen Antrag anzunehmen. London tat, wie ihr geheißen ward, und heiratete den Mann, den ihre Eltern für sie ausgesucht hatten. Dann herrschte Lawrence über sie. Sie führte das Haus nach seinen Vorstellungen. Und selbst als er starb, sorgte wiederum Londons Mutter dafür, dass sie angemessen trauerte. Nur wenn es um die Linguistik ging, hatte London das Sagen. Doch das geschah heimlich und fiel somit kaum ins Gewicht.
Jetzt allerdings konnte London nach Belieben entscheiden, und ihr schwirrte der Kopf von all den Möglichkeiten, die sich ihr boten. Sie konnte alles tun, überall hingehen. Wenn sie und die Klingen es irgendwie schafften, die Quelle mit dem Griechischen Feuer zu finden und zu beschützen, war sie endgültig frei. Nur hatte sie keine Ahnung, was sie dann tun sollte.
London blickte zu Bennett. Die Baumwipfel tauchten seine Gestalt abwechselnd in goldenes Sonnenlicht und violette Schatten. Mühelos schwang er die Krüge in seinen Händen. Ein schöner Mann. Der sie begehrte. Er war eine Option. Es wäre jedoch töricht, wenn sie ihr Herz an ihn verlöre und sich auf ihn verließe. Einfach zwar, ja, aber unklug.
Sie lernte gerade erst, auf eigenen Füßen zu stehen, und musste vorsichtig sein. Sie hatte versucht, Lawrence zu lieben. Das hatte sich als Fehler herausgestellt. Jetzt musste sie klug handeln, vor allem wenn es um
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