Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Lager der Hirten kreiste, informiert. Über die Entfernung hinweg sah Lamb mit eigenen Augen, wie die Jagdvögel sich beinahe von der Stange losrissen, als man ihnen die eigentliche Quelle präsentierte. Die Quelle besaß eindeutig starke Kräfte, vielleicht die stärksten, die Lamb je gesehen hatte. Während er in seinem Klappstuhl saß, um einen Brief an die Erben in England zu verfassen, fragte er sich, wie er den Satz »Die Quelle ist ein schmuddeliger alter Teekessel« so ausdrücken konnte, dass es nicht völlig lächerlich klang – oder man ihn für einen Narr hielt, was noch schlimmer war.
»Wo zum Teufel steckt dieser Dreckskerl?«, schnappte Edgeworth, während er auf und ab lief.
Lamb legte ein Löschpapier auf seinen Brief und verzog das Gesicht. Ehrenhalber fühlte er sich verpflichtet, etwas gegen Edgeworths abscheuliche Angewohnheit, dieses ständige Fluchen, zu unternehmen. Er durfte den jungen Mann jedoch nicht verärgern. Sein Vater spielte eine zu wichtige Rolle, als dass er sich seinen Sohn zum Feind machen konnte. Außerdem war Lamb auf Edgeworths Wohlwollen angewiesen. Sobald sie siegreich nach England zurückkehrten, wollte Lamb um die Hand von Edgeworths Schwester anhalten. Sie trug den sperrigen Namen Victoria Regina Gloriana London Harcourt, geborene Edgeworth, bekannter als London. Eine hübsche Frau, vielleicht ein bisschen zu schlau. Doch die Existenz der Erben hatte man sorgfältig vor ihr geheim gehalten. Londons Ehemann, Lawrence Harcourt, hatte den Erben angehört und war vor drei Jahren durch die Hand einer Klinge der Rose, Bennett Day, zu Tode gekommen. London kannte die genauen Umstände des Todes ihres Mannes nicht. Wenn Lamb es schaffte, sich die Hand von Witwe London zu sichern, kam er Joseph Edgeworth und dem inneren Zirkel um einiges näher.
Aufgrund dieser Überlegungen bemühte sich Lamb, gelassen zu klingen. »Er wird bald zurückkommen und die nötigen Männer mitbringen.« Lamb stand auf und trat mit dem Brief ans Lagerfeuer. Er griff in seine Tasche und holte ein paar getrocknete Blumen hervor.
»Aber die Burgess-Schlampe und dieser Soldat sind schon unterwegs«, beklagte sich Edgeworth. Er deutete auf den magischen Spiegel, in dem Thalia Burgess, der Mann aus Yorkshire und ein Dutzend Mongolen in Richtung Süden auf die Wüste zuritten. »Wir wissen weder, wo sie hinwollen, noch verfügen wir über Quellen oder Zaubersprüche, um sie aufzuhalten.«
Lamb warf den Brief zusammen mit den Blumen in das Feuer. Das Dokument rollte sich rasch zusammen und verschwand in der Asche, die kurz aufglühte. Innerhalb weniger Stunden würde er sein Ziel erreichen: ein immerwährendes Feuer im Londoner Hauptsitz der Erben. Sie benutzten diesen Kommunikationsweg nur in dringenden Fällen, denn die getrockneten Blumen zur Aktivierung des Zauberspruchs waren sehr selten. Doch Lamb musste den engsten Kreis über die neuesten Entwicklungen bei der Suche nach der mongolischen Quelle informieren.
»Diese Dummköpfe benutzen ausschließlich Magie, die ihnen gehört. Ziemlich lächerliches Zeug. Wir können davon ausgehen, dass sie versuchen, die Quelle an einen sicheren Ort zu bringen, von dem sie meinen, wir kämen dort nicht an sie heran«, erklärte Lamb seinem hitzigen Schützling. »Richtig. Ich weiß nicht, wo das sein könnte, aber das ist nicht von Bedeutung. Wir holen sie ein, bevor sie die Quelle verschwinden lassen. Es handelt sich lediglich um eine Gruppe Schafhirten, die von einer Frau und einem einfachen Soldaten angeführt wird. Das ist kein Grund sich aufzuregen.«
Jede weitere Beschwerde aus Edgeworths Mund ging in dem Geräusch nahender Hufschläge unter. Lamb und Edgeworth beobachteten, wie Tsend angeritten kam. Lamb hegte starke Befürchtungen, dass Tsend nicht genügend gierige und verzweifelte Männer fand, die bereit waren, ihr Vaterland zu verraten. Doch Gold hatte noch immer die Habgierigen aus ihren Löchern getrieben.
»Wo sind die Männer?«, schnappte Lamb und blickte an Tsend vorbei.
Wortlos deutete der Mongole die Straße hinunter. Was Lamb dort sah, lockte zum ersten Mal seit Wochen ein Lächeln auf seine Lippen, und selbst Edgeworth schien beeindruckt.
Gabriel hatte sich einer trügerischen Ruhe hingegeben. In den wenigen Tagen bei Bolds Stamm hatte er sich nicht als Soldat gefühlt. Die kurzen unglaublichen Stunden mit Thalia hatten ihm wieder zu Bewusstsein gebracht, dass er ein Mann war. Nun gut, die Teilnahme am Nadaam konnte man nicht gerade als
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